Beschreibung
In einer Zeit der Egozentrik, mit ihren Ich-AGs und iPhones, kommt diese 1843 erstmals veröffentlichte Geschichte irritierend aktuell daher. Der Egomane Ebenezer Scrooge wirkt wie eine Blaupause des modernen Menschen, nicht interessiert daran, was gestern war, mit Familie und Vergangenheit hat er abgeschlossen. Zukunft und Nachwelt - egal. Sein eigenes Glück ist sein Maßstab aller Dinge. "Ein erpresserischer, blutsaugerischer, schäbiger Filz, ein raffgierig zupackender alter Sünder. Hart und scharf wie ein Kiesel, versteckt, verschlossen und einsam wie eine Auster." So charakterisiert ihn sein Autor, Charles Dickens. Und er beschreibt damit den Prototyp des geldgierigen Kapitalisten und erbarmungslosen Bankers zu Zeiten des Manchesterkapitalismus, der, als Folge der industriellen Revolution, die soziale Schere in Großbritannien seit der Mitte des 18. Jahrhunderts hat weit auseinanderklaffen lassen: hier die Wenigen, die schnell reich wurden, dort das Heer der billigen, ausgebeuteten Arbeitskräfte, oftmals Kinder. Ausgerechnet an Heiligabend aber erscheinen Scrooge drei Geister. Der Regisseur und Produzent Martin Mühleis und der Komponist Libor Síma stehen für Werke wie "Als ich ein kleiner Junge war" nach Erich Kästner oder "AHAB" nach dem Roman "Moby Dick" von Herman Melville, uraufgeführt von der Staatskapelle Dresden unter Sebastian Weigle. Für Miroslav Nemec und Udo Wachtveitl haben sie nun ein musikalisches Bühnenmärchen geschaffen, auf dessen Grundlage dieses Hörbuch basiert. Es erinnert in seiner Ästhetik an alte Schwarzweißfilme und spielt mit Elementen literarischer Revuen. "Ein Weihnachtslied in Prosa" nennt Charles Dickens sein Werk im englischen Original: "A Christmas Carol in Prose"; und er unterteilt seine Geschichte in fünf "Strophen". Die Musik war also schon für den Dichter von zentraler Bedeutung. Durch sie werden Räume und Bilder geschaffen - und doch spielt der literarische Text immer die Hauptrolle. Tempo, Rhythmus und Struktur der Erzählung bleiben auch in der Bearbeitung bewahrt. Und in der Interpretation von Miroslav Nemec und Udo Wachtveitl erhält die Geschichte, trotz ihres moralischen Grundtons, eine fröhliche Lebendigkeit mit einer feinen Prise skurrilen britischen Humors.
Autorenportrait
Schon zu Lebzeiten war er ein Bestsellerautor: Charles Dickens, der berühmteste englische Schriftsteller des 19. Jahrhunderts. Sein Werk verbindet viktorianische Ideale mit scharfer Sozialkritik, unsterbliche Figuren der Weltliteratur hat er erschaffen - "Oliver Twist", "David Copperfield" und nicht zuletzt: Ebenezer Scrooge, den Protagonisten der "Weihnachtsgeschichte". Am 7. Februar 1812 wurde Charles Dickens im südenglischen Landport geboren. Früh musste er erleben, was es bedeutet, unterprivilegiert zu sein. Durch familiäre Not war er schon als Zwölfjähriger gezwungen, in einer Londoner Fabrik zu arbeiten. Die Hoffnungslosigkeit seiner damaligen Lage prägte ihn für sein Leben. "Es ist mir ein Rätsel, wie ich in einem solchen Alter derart weggeworfen werden konnte", erzählte er später. "Es ist mir ein Rätsel, dass niemand Mitgefühl mit mir hatte - einem Kind von einzigartigen Fähigkeiten, aufgeweckt, lernbegierig, zart und leicht verletzbar. Eine Menge Unglück kann vermieden werden, wenn man ein Kind in eine Schule steckt!" In der Folge versuchte er, der Armut zu entrinnen. Es gelang ihm, eine Schule zu besuchen, er wurde Gerichtsreporter, Journalist - und kam so täglich mit den Ungerechtigkeiten der Industrialisierung in Berührung. Die Veröffentlichung seines von Ironie und Situationskomik durchsetzten Fortsetzungsromans "Die Pickwickier" machte den "Unnachahmlichen", wie ihn seine Freunde bald bewundernd nannten, über Nacht zum gefeierten Schriftsteller. Er wurde Herausgeber der liberalen Tageszeitung "Daily News" - und er schrieb wie ein Besessener, zum Teil an mehreren Romanen gleichzeitig, immer getrieben von der Angst, wieder ins soziale Elend abzurutschen. Für seine Fortsetzungsromane "Oliver Twist", "Nicholas Nickleby", "Der kleine Raritätenladen" oder "David Copperfield" erfand er kindliche Helden, die der viktorianischen Gesellschaft den Spiegel vorhalten. Dass er auch ein theatralisches Talent hatte, verrät sein Urururenkel Nickolas Denby: "Dickens' Lesungen vor einem großen Publikum waren beliebtes Einmanntheater." Diese Mehrfachbelastung wurde dem rastlosen Literaten schließlich zum Verhängnis. Gegen den besorgten Rat der Ärzte setzte er eine anstrengende Lesereise durch die USA fort, bis ihn am 9. Juni 1870 ein Schlaganfall aus dem Leben riss. Mit nur 58 Jahren. Heute gilt er als meistgelesener Autor der englischen Literatur.