Beschreibung
Pariser Nachtleben: Eine Bar, in der sich die tanzende Menge bis in den Morgen von den Rhythmen tragen lässt, ein Cabaret, in dem eine Spiegelwelt die Zuschauer in ein Spiel von Sein und Schein führt. In dieser Dämmer- und Dunkelwelt, einer Sphäre, in der, was normalerweise gilt, ins Wanken gerät, begegnen sich Ich und A***. Als Paar reisen sie nach New York. Ihre Liebesgeschichte entwickelt sich wie viele andere, mit der Besonderheit allerdings, dass das Geschlecht der beiden Hauptfiguren im Unklaren bleibt. - Ein erzählerisches Experiment, das seine Sogwirkung dadurch entfaltet, dass man beim Lesen den eigenen Geschlechterbildern auf die Spur kommt. Jeder Versuch, sich die beiden Protagonisten bildlich vorzustellen, läuft ins Leere und führt uns vor Augen, wie stereotyp die herrschenden Zuweisungen von Männlich und Weiblich sind.
Autorenportrait
Anne Garréta wurde 1962 in Paris geboren. 'Sphinx', erschienen 1986 bei Grasset, ist ihr erster Roman. Die amerikanische Übersetzung erregte 2015 großes Aufsehen. Garréta arbeitet als Dozentin an der Université de Rennes und hat auch in den USA unterrichtet. 2000 wurde sie aufgrund von 'Sphinx' in den Autorenkreis Oulipo aufgenommen - als erstes Mitglied, das nach der Gründung der Gruppe (1960) geboren wurde. Sie hat bisher sechs Romane geschrieben, zuletzt 'Éros mélancolique' (mit Jaques Roubaud), erschienen 2009. Für ihren Roman 'Pas un jour' erhielt sie 2002 den Prix Médicis, der jährlich für das Werk eines großen, aber viel zu unbekannten literarischen Talents verliehen wird.
Leseprobe
Einer dieser Abende hat sich mir ins Gedächtnis gebrannt, ein Samstag im Oktober, und zufälligerweise auch mein Geburtstag. Er ging deutlich länger als üblich. Im Grunde hörte ich die Musik gar nicht mehr; sie floss durch mich hindurch. Ich legte eine Platte nach der anderen auf, ganz instinktiv, sah wie durch einen Schleier aus Blut. Ich kann es nur so beschreiben: Ein unruhiges Koma aus Rhythmen, die mein Verlangen in immer schmerzhaftere Höhen trieben, ohne es je zu erschöpfen. In einem undeutlichen Nebel nahm ich die kompakte Masse der Tanzenden wahr, alle eng aneinandergepresst und dennoch wogend, in Wellen aufbrandend. Nahezu lückenlos miteinander verschweißt, blieb ihnen kein Raum sich zu bewegen, aber die Menge als Ganzes vibrierte rhythmisch; jeglicher individuelle Wille war gelöscht, verloren in einer anderen, über geordneten Notwendigkeit. George erzählte mir später, alle Neuankömmlinge seien nach und nach mit diesem Ganzen verschmolzen, zwischen zwei und sechs Uhr morgens sei niemand gegangen, und an der Bar sei man kaum noch nach gekommen. Um acht Uhr morgens brach ich erschöpft auf einer Bank zusammen und schlief ein. Dieser Abend besiegelte meinen Ruf. Für mich war er in gewisser Weise die Krönung; alle anderen sind aus meiner Erinnerung verschwunden, und keiner kam diesem in seiner rasenden Intensität gleich.