Beschreibung
Unser Heimatgefühl speist sich aus den Erinnerungen an die Kindheit. Der Duft von frisch gebackenem Kuchen oder von Bratwürsten auf dem Markt, die krachende Kruste noch warmen Brotes, Obst frisch vom Baum gepflückt. Früher, da die Menschen viel mehr aus dem Garten, aus der sie umgebenden Landschaft lebten, war dieser Geschmack noch präsenter und viel individueller. Renate Reuther ist den vielen Überlieferungen zu Bier und Braurechten, zu Kloß und Bratwurst, zu Kartoffeln und Obst, zu Jagd, Vogelfang und Wildbret nachgegangen und hat in akribischer Archivforschung vieles Wissenswertes zusammengetragen. Freuen Sie sich auf einen unterhaltsamen und lehrreichen Spaziergang durch die Kulturgeschichte des Essens und Trinkens in der Region Rudolstadt · Saalfeld · Neuhaus.
Autorenportrait
Dr. Renate Reuther Seit sie nach Jahren in der Fremde im Saaletal eine Heimat gefunden hat, erforscht die Historikerin mit viel Engagement die Geschichte der Region. Sie hat sich die pannende Aufgabe gestellt, Geschichte zu schreiben, die noch nicht in den Büchern steht. Lebensstationen an verschiedenen Orten im In- und Ausland schärften den Blick für den Einfl uß der Vergangenheit auf die Gestaltung unserer Gegenwart.
Leseprobe
Der Geschmack der Heimat Unser Heimatgefühl speist sich aus den Erinnerungen an die Kindheit. Der Duft von frisch gebackenem Kuchen oder von Bratwürsten auf dem Markt, die krachende Kruste noch warmen Brotes, Obst frisch vom Baum gepflückt. Früher, da die Menschen viel mehr aus dem Garten, aus der sie umgebenden Landschaft lebten, war dieser Geschmack noch präsenter und viel individueller. Wir mögen bedauern, daß mit der Supermarktware der Geschmack der Heimat weitgehend verschwunden ist, freuen uns aber auch über die nie versiegende Fülle der Waren. An Armut und Mangelwirtschaft können sich die älteren Generationen noch erinnern. Hungersnöte jedoch sind aus unserem Gedächtnis verschwunden. Dabei waren sie hier in Thüringen, gerade in den Bergregionen häufig. Dazu die Heimsuchungen durch immer neue Seuchen und Epidemien. Die Pest kam und ging und holte viele Opfer. Erst im Laufe des 19. Jahrhunderts brachten verschiedene Entwicklungen wie der Kartoffelanbau, die industrielle Revolution und die Mobilität von Waren und Menschen eine Erleichterung. Neue Lebensweisen setzten sich durch; die Ernährung änderte sich mit ihnen. Inzwischen stehen uns das ganze Jahr Lebensmittel aus aller Welt zur Verfügung und wir haben uns an Konserven, Tiefkühlkost und Fertignahrung gewöhnt. Auch wenn in dieser Geschichte der Ernährung eine lose zeitliche und räumliche Begrenzung versucht wird, ist das Thema so umfassend und facettenreich, daß es in diesem Rahmen nicht erschöpfend behandelt werden kann. Alle Bereiche der Sozial- und Wirtschaftsgeschichte spielen herein. Viele Themen konnten nur angerissen oder gestreift werden, eine vertiefende Behandlung wäre lohnend. Die agrarisch geprägte Wirtschaft kreiste fast vollständig darum, die Menschen zu ernähren und ihnen die dafür notwendigen Mittel zu besorgen. Direkt oder indirekt hing fast alles mit dem Bedürfnis zusammen, das tägliche Brot zu gewinnen. Es fing an mit der feudalen Ordnung, die sich auf den Landbesitz gründete und zu einem Leben unter Flurzwang und Fronpflichten führte. Die Bedeutung der Städte rührt von ihren Märkten und der Lage an Handelswegen. Dort hatte man nämlich Zugriff auf Spezialitäten aus fernen Ländern. Klassenunterschiede manifestierten sich in Art und Umfang der Speisen. Durch das Jagdprivileg versorgte sich der Adel mit dem Fleisch wilder Tiere und konnte mehrgängige Menus mit verschiedenen Braten auftischen. In den Küchen der Häusler wurden die einfachen Mahlzeiten aus einer Schüssel in der Tischmitte gelöffelt. Für die Ärmsten, die um ein Stück Brot betteln mußten, entwickelte sich aus einzelnen wohltätigen Stiftungen schließlich ein ganzes Versorgungswesen. Jedoch hatten die Gemeinden schon gemeinschaftliche Brauhäuser, noch bevor sie Schulen oder Armenhäuser einrichteten. Nicht Gewerbegebiete und Verkehrswege prägten die Landschaft, sondern die Kulturflächen, der Wald und ausgedehnte Brachen zur Beweidung. Auf den Hügeln entlang der Saale erinnern Gartenhütten an den Weinbau und den Vogelfang. Wald und Flur lieferten Wildfrüchte, bevor man die Sortenzucht ernst nahm und Obstgärten anlegte. Nachdem mit der Revolution von 1848 jedermann freies Eigentum an Grund und Boden erwerben konnte, bildete sich um die Städte ein Ring von eingezäunten Gärten, denen bald Siedlungen und Vorstädte folgten. Der Fülle der vorgelegten Fakten kann man große Zusammenhänge entnehmen, ebenso wie Kuriositäten am Rande. Es wird gezeigt, daß die kleinen Bauernhöfe kaum eine Familie ernähren konnten, weil sie zu wenig Mist erwirtschafteten. Erst der Kartoffelanbau führte zur Verstädterung, indem er die Arbeitskräfte für die neuen Fabriken bereitstellte. Die 'Begüterten' besaßen tatsächlich ein Gut und durften deshalb im Kirchenschiff sitzen, während die anderen auf den Emporen stehen mußten. Vieles was damals alltäglich war, erscheint heute exotisch, genauso wie unsere Lebensmittel und unser Essen den damaligen Einwohnern sehr fremd erscheinen würden. Wie kann man erfahren, wie vor zweihundert oder dreihundert Jahren gekocht und gegessen wurde? Auch wenn es seit etwa einhundert Jahren eine Heimatgeschichtsforschung gibt, fand der Themenkreis Kochen und Ernährung bei den meist männlichen Forschern nur wenig Beachtung. Sie schenkten anderen Interessensgebieten mehr Aufmerksamkeit. Diese können für unser Thema relevant sein, wenn es nicht um die Herrscher und ihre Kriegszüge geht, sondern um das Feudalsystem, um die Jagd oder die Innungen. Die Essensgewohnheiten der einfachen Leute und der Bürger erschließen sich oft nur aus Randbemerkungen. Aufzeichnungen über den Alltag sind rar und haben sich kaum erhalten. Die Mundartdichter haben das eine und andere aufgeschrieben und sind damit heute ebenfalls eine Quelle. Besonders ergiebig waren gesetzliche Bestimmungen wie die Hochzeits-, Tauf- und Begräbnisordnung des Fürstentums Rudolstadt von 1749, die in ihren detaillierten Verboten indirekt aufzeigte, was bis dahin üblich war. Für die Menus bei Hofe und die Wirtschaft auf dem Schloß liegen natürlich noch Belege auf der Heidecksburg. Eine unschätzbare Quelle ist das handgeschriebene Kochbuch der Louise von Lengefeld, Schillers Rudolstädter Schwiegermutter. Es gibt uns viele Hinweise auf die Speisegewohnheiten in einem gut situierten Haushalt. Zusätzlich enthält es Informationen über die Konservierung von Obst und Gemüse oder die Verfügbarkeit und Verwendung von exotischen Zutaten und Gewürzen. Für das frühe 20. Jahrhundert stellen die Einkaufslisten und Küchenzettel der Cumbacher Heime eine aufschlußreiche Quelle dar. Das fürstlich privilegierte Rudolstädtische Wochenblatt, das seit den ersten Ausgaben im Stadtarchiv erhalten und einsehbar ist, lieferte wertvolle Ergebnisse. Nicht zuletzt wurden zahlreiche Akten aus dem Stadtarchiv Rudolstadt gesichtet, die für das Thema relevante Informationen versprachen. In diesem Zusammenhang sei den Mitarbeiterinnen des Stadtarchivs für ihre freundliche Hilfe gedankt. Das Archiv stellte mir überdies großzügig zahlreiche Abbildungen für dieses Buch zur Verfügung. Alle interessant erscheinenden Papiere mußten durchgelesen werden. Texte waren auszuwählen, abzuschreiben und in Zusammenhänge zu bringen. Bei den Akten stellen die alte deutsche Schrift und die individuellen Handschriften immer wieder eine Herausforderung dar. Die städtischen Schreiber befleißigten sich nicht durchwegs einer sauberen Standardschrift. Bei den Illustrationen durfte ich wieder auf die unschätzbare Sammlung von Herrn Thilo Faber zurückgreifen. Herr Univ.Doz. Dr. Gerd Reuther unterstützte das Projekt in gewohnter Weise. Zu guter Letzt sei der Autoren der Rudolstädter Heimathefte gedacht, die seit nunmehr über 60 Jahren unsere Heimatgeschichte erforschen und für zahlreiche Kapitel dieses Buches wertvolle Vorarbeit geleistet haben. Allerdings fehlte bisher eine zusammenfassende Darstellung der Kulturgeschichte des Essens in der Region. Anders als in der vorindustriellen Zeit spielt die Nahrungsmittelproduktion heute keine zentrale Rolle mehr in den Leben der meisten Menschen. Im Allgemeinen backen wir weder unser Brot, noch brauen wir unser Bier, und selbst Bäuerinnen kaufen ihre Eier im Supermarkt. Aber wenn wir Anknüpfungspunkte zu unseren Vorfahren suchen, die in unserer Gegend so ganz anders lebten als wir, so treffen wir uns am ehesten beim Essen. Bratwurst und Bier, Fleisch mit Klößen, Kaffee und Kuchen schmeckten ihnen genauso gut wie uns.