Beschreibung
»Dieses Buch erzählt die Geschichte von Vera und István, die als ungarische Juden den Holocaust überlebten, 1956 während des Aufstands von Budapest nach Dänemark flohen und sich 1991 in Kopenhagen das Leben nahmen. Man fand sie Hand in Hand in ihrem Bett. Es ist die Geschichte einer ungewöhnlichen Liebe. Die Geschichte meiner Großeltern.« Johanna AdorjánZwei Menschen, die miteinander alt geworden sind, beschließen, sich das Leben zu nehmen. Er ist schwer krank, sie will nicht ohne ihn sein. An einem Sonntag im Herbst 1991 setzen sie ihren Plan in die Tat um. Sie bringen den Hund weg, räumen die Wohnung auf, machen die Rosen winterfest, dann sind sie bereit. Hand in Hand gehen Vera und István in den Tod, es ist das konsequente Ende einer Liebe, die die ganze übrige Welt ausschloss, sogar die eigenen Kinder.
Diskret und liebevoll rekonstruiert Johanna Adorján den Tag des Selbstmordes ihrer Großeltern, die alles andere waren als ein gewöhnliches Paar. Sie siezten sich ihr ganzes Leben, rauchten Kette und sahen umwerfend aus. Und sie hatten eine Vergangenheit, über die sie nicht sprachen. Weil sie sich nicht daran erinnern wollten. Als ungarische Juden hatten sie den Holocaust überlebt, waren Kommunisten geworden und 1956 während des Budapester Aufstands außer Landes geflohen. In Dänemark fingen sie ein neues Leben an und blickten scheinbar nie mehr zurück.
Sechzehn Jahre nach dem Tod ihrer Großeltern hat sich Johanna Adorján über das Gebot ihrer Familie hinweggesetzt: »Davon sprechen wir nicht.« Sie hat sich auf die Suche nach den blinden Flecken im Leben ihrer Großeltern gemacht und dabei Dinge herausgefunden, die mehr mit ihr selbst zu tun haben, als sie geahnt hatte. Vor den Abgründen der europäischen Geschichte des 20. Jahrhunderts lässt sie Vera und István wieder auferstehen: ein faszinierendes Paar, verschroben elegant, unbequem, exzentrisch. Es ist die traurige und schöne Geschichte einer großen Liebe, zugleich die Suche nach der eigenen Geschichte, und dass Johanna Adorján dafür einen leichten, bisweilen sogar komischen Ton gefunden hat, ist ihre große Kunst.
Autorenportrait
Johanna Adorján, 1971 in Stockholm geboren, studierte in München Theater- und Opernregie. Seit 1995 arbeitet sie als Journalistin, seit 2001 in der Feuilleton-Redaktion der »FAS«. Ihr erstes Buch, »Eine exklusive Liebe«, ist in sechzehn Sprachen übersetzt.
Leseprobe
Am 13. Oktober 1991 brachten meine Großeltern sich um. Es war ein Sonntag. Eigentlich nicht der ideale Wochentag für Selbstmorde. An Sonntagen rufen Verwandte an, Bekannte wollen vorbeikommen, um gemeinsam mit dem Hund spazieren zu gehen, ein Montag zum Beispiel erschiene mir viel geeigneter. Aber gut, es war Sonntag, es war Oktober, ich stelle mir einen klaren Herbsttag vor, denn das Ganze ereignete sich in Dänemark, in Charlottenlund, wo meine Großeltern wohnten, einem Vorort von Kopenhagen, in dem alle Häuser einen Garten haben und man seine Nachbarn beim Vornamen nennt. Ich stelle mir vor, dass meine Großmutter am Morgen als Erste aufwacht. Dass sie aufwacht und ihr erster Gedanke ist, dass dies der letzte Morgen ist, an dem sie aufwacht. Dass sie nie wieder aufwachen wird, nur noch einmal einschlafen. Meine Großmutter setzt sich schnell auf, schlägt die Decke zur Seite und schlüpft mit den Füßen in die Stoffschuhe, die sie jeden Abend ordentlich neben dem Bett abstellt. Dann steht sie auf, eine schlanke Frau von einundsiebzig Jahren, streicht sich das Nachthemd glatt, und durchquert leise, um meinen Großvater nicht zu wecken, die paar Meter zur Tür.
Im Flur empfängt sie schwanzwedelnd der Hund, Mitzi, eine Irish-Terrier-Dame, lieb, phlegmatisch, nicht besonders gehorsam. Meine Großmutter kommt gut mit ihr zurecht. Sie spricht Ungarisch mit ihr. »Jö kis kutya«, sagt meine Großmutter, nachdem sie die Tür zum Schlafzimmer leise hinter sich geschlossen hat, guter kleiner Hund. Sie hat einen Bass wie ein Mann. Wahrscheinlich kommt das von den vielen Zigaretten, sie raucht eigentlich pausenlos. Ich könnte in meiner Vorstellung von diesem Morgen noch einmal zurückgehen und ihr gleich nach dem Aufwachen schon eine brennende Zigarette zwischen die Finger stecken, Marke Prince Denmark, extra stark (Werbeslogan: Prince Denmark ist Männersache). Ja, spätestens als sie die Pantoffeln anhatte, wird sie sich eine angezündet haben. Es riecht also, während sie dem Hund im Flur über den Kopf streichelt und gleichzeitig hinter sich leise die Schlafzimmertür zuzieht, nach frischem Rauch.
Etwas später mischt sich zum Zigarettenrauch der Geruch von Kaffee. Für feine Nasen auch ein Hauch »Jicky« von Guerlain. Meine Großmutter hat einen Morgenmantel übergezogen, einen Kimono aus Seide, den ihr mein Vater einmal aus Japan mitgebracht hat, sie trägt ihn locker in der Taille zusammengebunden und sitzt jetzt am Küchentisch. Zwischen den Fingern der linken Hand hält sie eine brennende Zigarette. Sie hat lange, elegante Finger und hält die Zigarette ganz weit oben, nahe der Fingerkuppen, als wäre eine Zigarette etwas Kostbares. Meine Großmutter wartet darauf, dass der Kaffee endlich durchgelaufen ist. Vor ihr auf dem Tisch liegen ein Füller und ein Block.
Wer meine Großmutter jetzt sehen würde, könnte meinen, sie langweile sich. Ihre Augenbrauen stehen so weit über ihren Augen, das sie von ganz alleine aussehen wie hochgezogen, schwere Lider verleihen ihrem Gesichtsausdruck eine leicht blasierte Müdigkeit. Auf Fotos aus jungen Jahren sieht meine Großmutter ein bisschen aus wie Liz Taylor. Oder Lana Turner. Oder ein anderer Filmstar aus dieser Zeit mit dunklen langen Haaren und Wangenknochen, die wie gemeißelt wirken. Sie hat eine kurze gerade Nase und einen kleinen Mund mit geschwungener Unterlippe. Nur ihre Wimpern sind vielleicht etwas zu kurz, um perfekt zu sein, und sie zeigen gerade nach unten.
Sie ist auch an ihrem letzten Tag noch eine schöne Frau. Ihre Haut ist vom Sommer gebräunt, ein tiefes, fast schmutziges Braun, die Wangenknochen scheinen noch höher gerutscht zu sein. Die Haare trägt sie kinnlang gestuft. Mit den Jahren sind sie borstig wie Draht geworden, wie eine dicke, dunkelgraue Kapuze umrahmen sie ihr Gesicht. Am Morgen des 13. Oktober 1991 sitzt meine Großmutter am Küchentisch. Während sie darauf wartet, dass der Kaffee fertig durch die Maschine gelaufen ist, notiert sie sich auf ihren Ringblock, was zu erledigen ist. Zeitung abbestellen, schre Tag es ist. Es muss ihm nicht erst einfallen, er wusste es auch im Schlaf. Aus der Küche sind Geräusche zu hören, die entstehen, wenn jemand versucht, besonders leise die Spülmaschine auszuräumen. Und, leise, das Bach a-Moll-Violinkonzert. Ist es die Aufnahme mit Menuhin? Er bleibt noch ein paar Takte liegen, dann setzt er sich auf, was für ihn anstrengend ist. Jede Bewegung erschöpft ihn, im Sitzen angekommen, muss er sich erst mal kurz ausruhen. Dann, als gäbe er sich innerlich einen Ruck, fährt er sich einmal mit beiden Händen flach über den Kopf, streicht sich die Haare nach hinten und zu den Seiten, wo sie hingehören. Und steht, ganz langsam, auf.
Menschen, die in den letzten Wochen ihres Lebens bei meinen Großeltern zu Besuch waren, die eintraten in ihr kleines, höhlenartiges, gemütlich voll gestelltes, verrauchtes Haus, sahen meinen Großvater entweder gar nicht, weil er schlief. Oder sie trafen ihn auf dem Sofa im Wohnzimmer an, müde und sehr dünn - in wenigen Monaten war sein Gewicht von 70 auf 58 Kilogramm gefallen, er sah aus wie geschrumpft. Da saß er, von Kissen gestützt, und stand auch dann nicht auf, wenn der Besuch sich verabschiedete. Er hatte Probleme mit dem Herzen.
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