Beschreibung
Sando liebt den Fuchs, ausgerechnet den Fuchs. Diesen jungen Mann mit dem beunruhigenden Lächeln, dem er bei einer Demo begegnet ist und den er nicht recht zu fassen bekommt. Aber wenn Sando eines gelernt hat, dann das: Eine Liebe kann man nicht festhalten, nur warten, bis sie wiederkommt. Gelernt hat er das von seiner Mutter, die schon vor zwanzig Jahren entschieden hat, sich von ihrer sozialen Herkunft zu lösen, ihre eigenen Ziele zu verfolgen und nicht immer da sein zu müssen für andere: 'Die Möglichkeit zum Verschwinden ist immer enthalten. Weil wir nicht nur die sind, die sich die anderen wünschen', hatte sie gesagt. Und nun ruft seine Schwester Mili an, weil die Mutter wie damals nicht zu erreichen ist. Sando begibt sich mit Mili auf die Suche nach ihr und nach dem, was von Liebe, Freiheit und den zwei Zimmern des Studentenwohnheims übrig geblieben ist. 'Ein fiktionaler, rhythmisiert ruheloser Sprechakt voller brillanter sprachlicher Miniaturen.' Anne Amend-Söchting, Literaturkritik.de
Autorenportrait
Lena Müller, geboren 1982 in Berlin, studierte Literarisches Schreiben und Kulturjournalismus in Hildesheim und Erwachsenenbildung in Paris. Sie war Mitherausgeberin der französischsprachigen feministischen Zeitschrift timult und arbeitet als freie Übersetzerin und Autorin. Lena Müller wurde zweimal in Folge mit dem Internationalen Literaturpreis für ihre Übersetzungen ausgezeichnet, 2016 für "Erschlagt die Armen!" von Shumona Sinha und 2017 für "Tram 83" von Fiston Mwanza Mujila. "Restlöcher" ist ihr erster Roman.
Leseprobe
Er ist durch die Stadt gelaufen wie jemand, für den Zeit keine Rolle spielt, geradezu enervierend langsam durch die Gänge der U-Bahn, die anderen in ihrem Lauf ausbremsend. Er tut, als sei er für diese an sich naheliegende Sache unempfänglich, für eine Schrittgeschwindigkeit, die sich anbietet, sich aufdrängt. Er schleicht, wo es nichts zu sehen gibt, wo es stinkt, durch die vielgeatmete Luft, als habe er die Ewigkeit gepachtet, als wären diese Gänge sein Lustgarten. Denkt daran, dass der Fuchs dieselbe Luft atmet wie er. Denkt dann, dass hunderttausende Menschen dieselbe Luft atmen. Fragt sich, wie sie es angehen, wie sie Schritt halten. Viele schaffen es, auch unter schwierigen Bedingungen. Manche haben Verluste und gebrochene Herzen im Gepäck oder führen eine Schwermut mit, eine von Generation zu Generation weitergegebene, die Zeiten und Lebensumstände überdauernde, anpassungsfreudige Schwermut, tragen sie durch die Stadt, Schwermut aus aller Welt, eine Art weltumspannende Traurigkeit. Manche können sich besser abfinden. Geben weniger auf Vergangenes, wer weiß. Er weiß es nicht. Aber ihm scheint, dass dieses Ende, das Ende vom Fuchs, vom Leben mit dem Fuchs, unerklärlich ist, und in diesem unerklärlichen Zustand tut er: nichts. Nicht viel. Prüft die Dicke der Eisschicht auf dem Wasser mit den Augen, wartet, dass sie schmilzt und die Dinge auf dem Eis versinken, der Einkaufswagen, der Fernseher, die Zimmerpflanze ohne Topf.