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Bibliografische Daten
ISBN/EAN: 9783896674128
Sprache: Deutsch
Umfang: 272 S.
Format (T/L/B): 2.6 x 22 x 14.5 cm
Einband: gebundenes Buch

Autorenportrait

Christian Kortmann, Jahrgang 1974, lebt in München. Er arbeitet als freiberuflicher Autor und in der Kulturredaktion des Online-Portals »sueddeutsche.de«. In seiner Netz-Kolumne »Das Leben der Anderen« rezensiert er das Internetvideo der Woche. »Der Läufer« ist sein erster Roman.

Leseprobe

Wer einen Ausweg sucht, muss Nomade werden, denn im Nomadentum ist ein Glücksprinzip aufgehoben. Auf den Knopf rechts unten drücken, Piep!, schon ist eine Sekunde vergangen, und los. Köstlich, hier am grünen Fluss zu laufen. Ich mache das sonst jeden Abend eine Stunde lang in der Dämmerung. Flussaufwärts. Flussabwärts zurück. Die Isar. Täglich. Im Winter auf Schnee mit Stirnband und Handschuhen, jetzt im Sommer mit nackter Brust, denn das ist so schön frei und luftig wie Cabriofahren. Im grünen Wasser stehen die blauen Bierkästen der Augustiner-Brauerei, am Ufer Lagerfeuer, Spaziergänger mit Hunden. Abenddämmerung. Doch jetzt laufe ich auf die Mittagshitze zu, musste heute früher los, schließlich ist heute der Tag des großen Laufs. Am Anfang muss man sich einlaufen, die ersten ein, zwei oder drei Kilometer. Ich atme durch die Nase, und es pfeift aus meinen Nasenlöchern. Die Gefäße weiten sich jetzt gleich für perfekten Sauerstoffdurchzug. Nasenatmung ist gute, aerobe Atmung, die den Körper kontrolliert, ihn im optimalen Leistungsbereich arbeiten lässt. Die Muskulatur erwärmt sich, erreicht ihre Betriebstemperatur, und man merkt, wie die Tagesform ist, ob man gute Beine hat, die dahinfliegen und den Körper leicht durch die Landschaft tragen, oder schlechte, die man selbst unter sich herschleppen muss, absoluter Klump in der Muskulatur. Vergiss es, weiß man dann, du wärst besser zu Hause geblieben. Diese Unbeeinflussbarkeit der Tagesform ist ja ein Konstrukt aus Sportpublizistik und Sportpsychologie. Tagesform, ein unscharfer Begriff, aber er trifft ins Herz des sportlichen Erfolgsmoments, der eben kaum planbar ist, weil der Körper einen stets durch neue Kapriolen überrascht, die kein Sportmediziner der Welt vorausahnen kann: Ronaldo als Totalausfall beim 0: 3-Fußball-Weltmeisterschaftsfinale in Paris, ein plötzlicher Muskelkater aus dem Nichts, weil man am Vorabend vielleicht etwas zu beinverkrümmt und etwas zu kühl in einer Gartenwirtschaft gesessen hat, Chaostheorie, Butterfly-Effect, schlechten Tag erwischt, Lebenstraum gescheitert. Und? Habe ich heute gute Beine? Und wie! Das wird was werden. Die Schnürsenkel müssen sorgfältig gebunden sein, ihre Enden fest unter dem Schnürungszickzack stecken, damit sie und vor allem ihre plastikummantelten Endstücke nicht vor die Schienbeine schlagen, das macht mich nämlich verrückt. Im Schuh darf kein einziger Stein sein, kein Steinchen noch so klein: Es ist nicht der Berg vor uns, der uns hindert, Dinge zu tun, sondern das Steinchen im Schuh. Schuhe, mein Interface für den Bodenkontakt, mehr nicht: Die Verkäuferclowns in ihren Running-Schuhen in der Running-Schuh-Abteilung vom Blödia-Markt wollen mir Dämpfungsschuhe für 130 Euro verkaufen. Vorher wollen sie eine Videoanalyse auf dem Laufband machen, mich filmen, den Lauftyp bestimmen, um mir dann ihre teuren Made-in-Chinas anzudrehen, Materialwert vielleicht 80 Cent, die nach 1000 Kilometern eh platt und durch sind. Und wie schnell habe ich die nächsten 1000 Kilometer hinter mir? Ich sage dann immer: "Nö, danke, brauche ich nicht. Haben Sie noch dieses alte Modell von Adidas, Marathon-Trainer?" "Ja, hier, haben wir auch noch", sagt der Verkäuferclown und zieht ein Paar Adidas-Marathon-Trainer aus einer Art Wühltischgrube - sie sind jetzt schwarz und nicht mehr so schön lebendig blau wie früher -, "aber bitte, sind ja Ihre Knochen." Hat der eine Ahnung: Ich brauche keine Dämpfung, da meine Muskulatur für mich dämpft. Rolle nämlich nicht über den ganzen Fuß, sondern nur über den Mittelfuß, die Ballen und die Zehen ab. Dämpfung kann er den übergewichtigen Bären, den Abrollern verkaufen. Laufen ist kein schnelles Gehen, sondern eine Abfolge von Sprüngen. Die schnellsten Unterschenkelprothesen werden nicht grundlos "Cheetahs", Geparden, genannt. Hier vorne gleich ist der Zoo, dieser Garten für bewegliche Dinge. Schließe einmal die Augen und sage "Indien!". Riechst du die Tiere in ihren Gehegen? Die Ziegen riechen intensiv, da vorn

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