Beschreibung
Die archaische Strenge dieser frühesten Zeugnisse unserer Kultur und ihr eklatanter Gegensatz zur modernen Welt ist auf besondere Art faszinierend. Stilbildende Meisterwerke wie die Aachener Pfalzkapelle, die Michaeliskirche in Hildesheim und die Krypta von St. Wiperti in Quedlinburg werden in diesem Band mit Abbildungen und Zeichnungen anschaulich erläutert. Die Voraussetzungen der frühmittelalterlichen Kunst, die Kunst und Ornamentik der Germanen, der Austausch mit Italien, Byzanz und sogar dem Orient werden in vielen Fallbeispielen zur Diskussion gestellt. Im Vordergrund stehen aber die Funktionsbereiche der frühmittelalterlichen Kunst, die liturgische Disposition und Ausstattung. Wie wurden die heute unschätzbaren Kunstwerke tatsächlich eingesetzt, welche Aufgaben sollten sie erfüllen, und wie wurde die Heiligenverehrung organisiert? Politische Veränderungen (z.B. der Wandel von den gentilen Reichen zum Kaisertum), religiöse (der Übergang von der karolingischen Kirchenreform zur Reichskirche) und institutionelle Wandlungen (Höfe, Stifte und Klöster als Kulturzentren oder Herrscher, Bischöfe und Mönche als Auftraggeber und Stifter) bilden den Rahmen der Darstellung dieser faszinierenden Zeit. Ebenso untersucht werden die Formen und Medien der Herrschaftsrepräsentation. Welche Baupolitik wurde betrieben, wie und warum inszenierte und legitimierte sich das sakrale Königtum und welche Traditionen wurden bewusst gepflegt? Die karolingische Bildungsreform, ihre Medien der Wissenschaft und nicht zuletzt die Welt- und Himmelsbilder der Frühzeit schließen diesen Band ab.
Leseprobe
ZU DIESEM BUCH Der vorliegende Band behandelt die Kunst im frühen Mittelalter - im Zeitraum vom späten 8. bis zum frühen 11. Jh. - als das Reich in der Mitte Europas zunächst von den Karolingern und dann von der sächsischen Herrscherdynastie der Liudolfinger regiert wurde, die nach den drei aus ihrem Geschlecht stammenden Kaisern meist Ottonen genannt werden. Karolingische und ottonische Kunst stammt also aus einer sehr fernen Zeit, deren Lebensumstände heutzutage kaum noch vorstellbar und nur mit Schwierigkeiten rekonstruierbar sind. Dennoch muss die Wissenschaft immer wieder aufs Neue den Versuch unternehmen, Objekte, die aus dieser fernen Zeit auf uns gekommen sind und die wir heute ganz selbstverständlich als Kunst klassifizieren, aus den Bedingungen ihrer Entstehenszeit zu verstehen und zu erklären, sie aber ebenso mit Fragen zu konfrontieren, die durch heutige Interessen bestimmt sind. Für den in diesem Band behandelten Zeitraum haben das in den beiden letzten Jahrzehnten u. a. große und bedeutende Ausstellungen unternommen. Auch der vorliegende Band stellt einen solchen Versuch dar. Er folgt dabei aber nicht dem in herkömmlichen Überblicksdarstellungen lange gebräuchlichen Schema, seine Gegenstände nach Gattungen getrennt und als chronologisch angelegte und regional differenzierte Entwicklungs- und Stilgeschichte vorzustellen. Insofern wird man Kapitel z.B. über die Hofschule Karls des Großen oder die Reichenauer Buchmalerei vergeblich suchen, auch deshalb, weil solche Themen in den voluminösen Katalogen der erwähnten Ausstellungen bereits grundlegend und zusammenfassend abgehandelt sind und eine Wiederholung hier weder angebracht noch sinnvoll gewesen wäre. Die Darstellung frühmittelalterlicher Kunst in diesem Band orientiert sich v. a. an den Funktionen und Aufgaben, für die Kunstwerke geschaffen wurden, an den Interessen und Anliegen der Auftraggeber, an den kulturellen Kontexten, die Entstehung und Wirkung der Werke beeinflussten. Soweit dies möglich ist, soll damit der ursprüngliche Ort frühmittelalterlicher Kunst in der mittelalterlichen Lebenswelt erkennbar werden. Diesem Zusammenhang sind die Objekte als Museumsstücke heute weitgehend entzogen; verstehen aber kann man sie nur in ihrer Beziehung zum Denken und Handeln, zu den Vorstellungen und Wahrnehmungen der damaligen Zeit. Von Kunst im neuzeitlichen und modernen Verständnis ist die des frühen Mittelalters dadurch unterschieden, dass sie nicht zweckfrei der Selbstverwirklichung von Künstlern und der Artikulation ihrer Anliegen diente, sondern auf Veranlassung von Auftraggebern für bestimmte Aufgaben geschaffen wurde und durch festgelegte Funktionen und Kontexte bestimmt war. Diese zu analysieren und zu erklären, schien bei einem Band, der auch für ein breiteres Publikum gedacht ist, nicht zuletzt deshalb ein begründetes Anliegen, weil Kenntnisse mittelalterlicher Kultur, Geschichte und Religion, ohne die auch die Kunst dieser Zeit unverstanden und fremd bleiben muss, heute nicht mehr als allgemein bekannt vorausgesetzt werden können. Den Autorinnen und Autoren, die es mit mir unternommen haben, auf diese Weise die karolingische und ottonische Kunst verstehbar zu machen, bin ich zu großem Dank verpflichtet. Dass ein so komplexes Vorhaben mit allen seinen Terminzwängen in ausgesprochen kollegialer Zusammenarbeit entstand, war eine glückliche und keineswegs selbstverständliche Erfahrung. Dass daraus ein so ansehnliches Buch wurde, ist das Verdienst eines Verlagsteams, das den Band von den konzeptionellen Anfängen bis zum gedruckten Ende hochengagiert, aufgeschlossen und verständnisvoll begleitet hat. Namentlich Anne Hagenlocher, Eckhard Hollmann, Alice Rath, Marietheres Schulze und Rainald Schwarz gilt dafür mein herzlicher Dank. Hamburg, 2009Bruno Reudenbach BRUNO REUDENBACH KULTURELLE FUSIONEN HERKUNFT, FORMUNG UND AUFGABEN DER KUNST IM FRÜHEN MITTELALTER EINE »DEUTSCHE« KUNST? Zu einer Geschichte der bildenden Kunst in Deutschland au