Leseprobe
Die Spezies der Regionalkrimis bedarf insofern einer genaueren Beschreibung, als eigentlich alle Kriminalromane in einer bestimmten, auch geographisch identifizierbaren Region angesiedelt sind - sei diese nun eine Stadt oder eine besondere Landschaft. Denn man begleitet Philip Marlowe durch Los Angeles, Sherlock Holmes durch London, Jules Maigret durch Paris oder Guido Brunetti durch Venedig im Bewusstsein, dass diese Orte unter literarischen Aspekten besonders 'kriminalaffin' sind. Vergleichbares gilt in Deutschland für Metropolen wie Berlin, Frankfurt oder München, weniger jedoch für Gegenden außerhalb der großen Städte. Doch das änderte sich, und ähnlich, wie es auf der britischen Insel Kriminalautoren häufig ins Ländliche oder Kleinstädtische verschlug - wie P. D. James nach Suffolk oder M. C. Beaton in die Cotswolds - entdeckten auch die deutschen Autorinnen und Autoren zunehmend die einzelnen Regionen für sich. Schon Theodor Fontane, der selbst Romane über Verbrechen in bestimmten Regionen geschrieben hat, (Ellernklipp - Harz, Unterm Birnbaum - Oderbruch, Quitt - Riesengebirge), nannte in einem Brief von 1891 an seinen Freund Georg Friedländer gewisse Aspekte, die einen 'regionalen' Kriminalroman konstituieren. Er stellte fest, '[] dass es, nach der poetisch-novellistischen Seite hin, bevorzugte und nicht-bevorzugte Gegenden gibt. Natürlich hat jede Gegend ihren Mord, ihren großen Bankrutt, ihren Ehebruch mit im Ofen verbranntem Kind []; ganz leer an solchem Stoff ist keine Gegend, aber im Maß sind sie sehr verschieden. In Seestädten, in Gegenden, deren Reichtum und Schönheit viele Personen anlockt, in Grenz- und Schnapsdistrikten auch in Gegenden, wo großer Reichthum und große Armuth nebeneinander leben, - in solchen Gegenden ist mehr los, als in Mittelgutsgegenden, wo eine solide, fleißige, prosaische Bevölkerung in auskömmlichen Verhältnissen nebeneinander her lebt.' Im Unterschied allerdings zu der Feststellung Fontanes erscheinen in den regionalen Krimis häufig eher die 'Mittelgutsgegenden', in denen der prosaische Alltag gelebt wird. Und gerade der Kontrast zwischen der unaufgeregten Normalität des täglichen Lebens und dem Einbruch des Mörderischen in ein solches Dasein machen den Reiz dieses Krimi-Genres aus. Allerdings verzichtet es mitnichten auf 'Reichtum und Schönheit' als fiktionale Konstituenten von Romanen, wobei Reichtum häufig fragwürdig und Schönheit noch fragwürdiger ist.