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Sämtliche Werke - Band 17

eBook - Essays IX: Ad hoc

Erschienen am 28.10.2015, 1. Auflage 2015
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Bibliografische Daten
ISBN/EAN: 9783608109177
Sprache: Deutsch
Umfang: 396 S., 2.10 MB
E-Book
Format: EPUB
DRM: Digitales Wasserzeichen

Beschreibung

»Ad hoc« Jüngers Gelegenheitsschriften und -reden erlauben Einblicke in seinen Familien- und Freundeskreis, wenn er etwa seinem Bruder zum Geburtstag gratuliert. Doch auch die »Gelegenheit« nutzt er zur tiefergehenden Reflexion.Der vorliegende Band entspricht Band 14 der gebundenen Ausgabe.Der siebzehnte Band versammelt zumeist kürzere Arbeiten Ernst Jüngers, die stets einem konkreten Anlass verpflichtet waren. Doch gehorchen die Reflexionen etwa über Alfred Kubin oder André Gide keinesfalls einem wie auch immer gearteten Zwang; vielmehr zeigen sie zum einen die Vernetzung Jüngers, zum anderen ermöglichen sie Aufschlüsse über ihn selbst, denn auch im Blickwinkel auf den Anderen wird seine Sichtweise erkennbar.Dies gilt insbesondere für die beiden Geburtstagsgrüße an seinen Bruder und die »Familiäre Notiz«, aber auch die Preisreden und Nachrufe, die letztlich zeigen, dass der »Jahrhundertmensch« Jünger mit seinen beinahe 103 Jahren viele seiner Weggenossen überlebte.Im Einzelnen enthält der Band: Caspar René Gregory Alfred Kubins Werk: Nachwort zum Briefwechsel, Die Staubdämonen Nachruf auf André Gide Geburtstagsbrief an William Matheson Karl O. Paetel zum 50. Geburtstag An Friedrich Georg zum 65. Geburtstag An Friedrich Georg zum 70. Geburtstag Brief nach Rehburg Nelsons Aspekt. Hans Speidel zum 70. Geburtstag Erinnerungen an Henry Furst Zwei Besuche. In memoriam Jean Schlumberger Ausgehend vom Brümmerhof. Alfred Toepfer zum 80. Geburtstag Post nach Princeton Alonso de Contreras Kriegsstücke von drüben Vorwort zu »Blätter und Steine« Geleitwort zu Hans Speidels »Invasion 1944« »Antaios«. Zeitschrift für eine freie Welt. Ein Programm Dankansprachen bei der Verleihung des Rudolf-Alexander-Schröder-Preises, des Immermann-Preises, des Straßburg-Preises, der Freiherr-vom-Stein-Medaille, des Schiller-Preises des Landes Baden-Württemberg Durchbruch? Paul Toinet Rivarol Paul Léautaud. »In Memoriam« Postscriptum zu Paul Léautaud

Autorenportrait

Ernst Jünger, am 29. März 1895 in Heidelberg geboren. 19011912 Schüler in Hannover, Schwarzenberg, Braunschweig u. a. 1913 Flucht in die Fremdenlegion, nach sechs Wochen auf Intervention des Vaters entlassen 19141918 Kriegsfreiwilliger 1918 Verleihung des Ordens »Pour le Mérite«. 19191923 Dienst in der Reichswehr. Veröffentlichung seines Erstlings »In Stahlgewittern«. Studium in Leipzig, 1927 Übersiedlung nach Berlin. Mitarbeit an politischen und literarischen Zeitschriften. 19361938 Reisen nach Brasilien und Marokko. »Afrikanische Spiele« und »Das Abenteuerliche Herz«. Übersiedlung nach Überlingen. 19391941 im Stab des Militärbefehlshabers Frankreich. 1944 Rückkehr Jüngers aus Paris nach Kirchhorst. 19461947 »Der Friede«. 1950 Übersiedlung nach Wilflingen. 1965 Abschluß der zehnbändigen »Werke«. 19661981 Reisen. Schiller-Gedächtnispreis. 1982 Goethe-Preis der Stadt Frankfurt/Main.1988 Mit Bundeskanzler Kohl bei den Feierlichkeiten des 25. Jahrestags des Deutsch-Französischen Vertrags. 1993 Mitterrand und Kohl in Wilflingen. 1998 Ernst Jünger stirbt in Riedlingen.

Leseprobe

Zur Verleihung des Schiller-Preises des Landes Baden-Württemberg (Auszug)[] Seit einem Vierteljahrhundert hause ich in Oberschwaben, im Schatten des Stauffenbergschen Schlosses im Dorfe Wilflingen. Nie zuvor habe ich so lange am gleichen Orte geweilt. Ich wohne gern auf dem Lande; hier wie in manch anderer Hinsicht denke ich nicht quantitativ. In einer Großstadt kennt man das Image. auf dem Dorfe das Gesicht. Man lebt unter Nachbarn; und ich darf es vielleicht nicht ganz als Zeichen von Rückständigkeit betrachten, daß ich es zum Ehrenbürger zweier Dörfer gebracht habe.Ich kann mich also als eingemeindet betrachten und sogar als Landeskind, da ich in Heidelberg am Neckar geboren bin. Im weiteren Sinne, innerhalb der Geschlechterfolge. bin ich Rückwanderer. Es muß noch vor Goethes Tode gewesen sein, als der Urgroßvater. Johann Christian Jünger. 1810 zu Neckargartach geboren, sein Felleisen schnürte. um auf Wanderschaft zu gehen. Sie führte ihn bis nach Osnabrück in Westfalen, wo er in die Schuhmacherinnung aufgenommen wurde und die Tochter des Meisters heiratete. Wie jeder Handwerker damals wird er seinen Schiller und seinen Uhland gekannt haben und darüber hinaus auch bibelfest gewesen sein.Solche Wanderschaft hat zu einem beträchtlichen Austausch zwischen den Stämmen beigetragen. wie später die Eisenbahn zwischen den Nationen und heute das Flugzeug zwischen den Weltbürgern, in meinem Falle hat der Ahn durch seine Heirat westfälische Gene in den Stammbaum eingebracht. Ich will Sie mit meiner Familiengeschichte nicht langweilen. doch daraus eine Anekdote Zitieren. die das Westfälische zum Ausdruck bringt:Es muß ungefähr um 1825 gewesen sein. als die Urgroßmutter. Anna Determann. damals ein Kind von zwölf Jahren, vor die Haustür trat und einen Trauerzug sah. Voran ging ihr Vater mit den Schulkindern. dann folgte ein Kindersarg mit kleinem Geleit. Der Zug ging nicht durch das große Tor des Friedhofes. durch das alle Leichen getragen wurden, sondern durch eine Pforte für die Kirchgänger, Das Mädchen erschrak, denn es wußte, daß der Vater in der Wohnstube war. Es rief ihn heraus und erzählte ihm das Gesehene. Er wollte es ihm ausreden: »Du kannst das schon deshalb nicht gesehen haben. weil durch diesen Eingang nie ein Toter getragen wird,« Einige Tage später starb das Kind eines Heuermanns; in der Nacht vor der Beerdigung stürzte das Tor ein, und der Sarg mußte durch die Pforte getragen werden - genau so. wie es gesehen worden war.Eine Begegnung, wie sie in Westfalen und Niedersachsen, auch in Schottland und der Bretagne nicht ungewöhnliche ist. Die Droste hat sich in ihren »Bildern aus Westfalen« ausführlich damit befaßt. und sie verdankt dem Zweiten Gesicht einen starken Anteil ihrer dichterischen Kraft.Zu diesem Komplex zählt auch der» Vorbrand«; das ist die quälende Vision zukünftiger Kriege, Katastrophen und Großbrände. Der Betroffene begreift erst nachträglich, was er gesehen hat; er wird darüber durch die Ereignisse belehrt, wie es mir mit den »Marmorklippen« geschah.Wenn ich sage, daß ich mit Schiller aufgewachsen bin, so ist das selbstverständlich für meine Generation und für die drei, die ihr vorausgingen. Sein Werk genoß die stets gleiche Achtung. wenn auch die Grade verschieden waren. in denen die Annäherung gelang. Wahrscheinlich kam jener Handwerker ihm näher als etwa die Romantiker. die sich gelegentlich über ihn mokiert haben. Mein Vater las und zitierte ihn gern. Ich selbst wurde durch die Gedichte nie stärker getroffen denn als Zwölf jähriger: ich las sie wie manches andere in den Nächten und war dann in der Schule nicht ansprechbar.Bei diesen nächtlichen Ausflügen leuchteten die Blumen schöner und aus eigener Kraft. Meine Präsenz am Tage freilich wurde blasser; ich war nicht bei den Dingen. weil ich zu stark bei der Sache war. Doch mochte zuweilen. vielleicht auf osmotische oder telepathische Weise, etwas durchsickern. Das brachte mich einige Male in die paradoxe Lage. zugleich der schlechteste und der Lieblingsschüler zu sein. Ähnlich beim Heere: ein guter Krieger, ein schlechter Soldat. Offenbar fand ich mich im Elementaren besser zurecht. Der Zustand ist jedem Heranwachsenden bekannt. Die Namen und die Dinge stimmen nicht überein. Damit rücken die Gefahren der Exzesse, des Rausches. der Entgleisung nahe heran. Sie waren Schiller nicht fremd. Sein Vorwort zu den »Räubern« von 1781 dürfen wir als präzise und aktuelle Durchleuchtung der moralischen Katastrophe auffassen. Im Glücksfall finden wir Chefs und Lehrer. die eine Art von Komplizenrolle übernehmen und dem Ordinären oder, wie Martin Heidegger es nennt: dem Gestell gegenüber mit uns durchstecken, wie Schiller ihn in Professor Abel fand. []

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