Beschreibung
Autorität als soziale Interaktionskategorie und gesellschaftliches Ordnungsprinzip ist in vielen Hinsichten bis heute männlich konnotiert. Zugleich ist Autorität in der Moderne und insbesondere im 20. Jahrhundert Gegenstand eindringlicher Kritik. Die interdisziplinären Beiträge des Bandes gehen dem ambivalenten Phänomen der Autorität in philosophischer, historischer, politischer und sozialwissenschaftlicher Perspektive nach und fragen, wie und mit welchem Ziel sich Autorität weiblich denken lässt.
Autorenportrait
Hilge Landweer ist Professorin für Philosophie an der Freien Universität Berlin. Catherine Newmark wurde 2007 am Institut für Philosophie der Freien Universität Berlin promoviert und war dort wissenschaftliche Mitarbeiterin. Heute arbeitet sie als Kulturjournalistin und ist Autorin und Redakteurin u.a. beim Deutschlandfunk Kultur und beim Philosophie Magazin.
Leseprobe
Das Geschlecht der Autorität - Altlasten und feministische Neubestimmungen Zur Einführung Hilge Landweer und Catherine Newmark Wer über Autorität nachzudenken beginnt, wird schnell auf politisch und gesellschaftlich Zweifelhaftes stoßen - und auf die Kritik daran. Von den autoritären Vätern des klassischen Patriarchats bis zu den Diktatoren und Autokraten des 20. und neuerdings auch 21. Jahrhunderts: Autorität scheint mit einer spezifischen Deformation von Macht- und Herrschaftsverhältnissen verbunden zu sein. Genau in diesem Sinne wurde sie auch Mitte des 20. Jahrhunderts zum Gegenstand eingehender theoretischer Untersuchungen, allen voran in den Studien über die autoritäre Persönlichkeit der Frankfurter Schule. Auch politische Bewegungen waren in den letzten Jahrzehnten oft motiviert durch Autoritätwskritik, am prominentesten die Studentenbewegung der 68er Jahre, die den "Muff von tausend Jahren" "unter den Talaren" monierte und damit respektlos ihre Kritik an den bis dahin weitgehend unangefochtenen rechtlichen Autoritäten, von denen viele das Unrechtssystem des Nationalsozialismus unterstützt hatten, auf den Punkt brachte. Die Kritik der Autorität reicht freilich weiter zurück als in die Mitte des 20. Jahrhunderts: Man kann die gesamte Entwicklung der westlichen Gesellschaften und politischen Systeme seit der Aufklärung als großes Projekt der kritischen Auseinandersetzung mit überkommenen Traditions- und Autoritätsordnungen verstehen, und dies entspricht auch durchaus dem Selbstverständnis vieler der geistesgeschichtlichen und politischen Bestrebungen der letzten 300 Jahre. Aber ist mit der Kritik auch schon die Autorität selbst verschwunden? Die Frage stellen, heißt sie verneinen. Unter und neben den Entwürfen, Projekten und Utopien egalitärer Gesellschaften, die für die Moderne charakteristisch sind, wirkt Autorität als Phänomen an vielen Stellen weiter - mal mehr, mal weniger verdeckt, oftmals kaum erkennbar. In manchen Fällen mag das aufgefasst werden als Problem eines noch nicht abgeschlossenen Prozesses der Veränderung von ehemals autoritätsorientierten Gesellschaften oder aber als Ausdruck eines reaktionären, wenn nicht gar regressiven politischen Momentes. Aber es spricht vieles für die Annahme, dass Autorität neben dem deutlich sichtbaren öffentlichen Bereich auf einer viel tiefer liegenden Ebene auch in Beziehungen zwischen Personen eine Rolle spielt und sich gar nicht oder zumindest nicht ohne weiteres in der Phantasie des Egalitären auflösen lässt. Sich der Autorität als Begriff und Phänomen zuzuwenden bedeutet darum, die mannigfache und historisch über viele Stufen artikulierte Kritik an traditionellen Autoritätsformen und -auffassungen mitzudenken, sich aber zugleich für das Phänomen jenseits der eingefahrenen Diskurse zu interessieren. Und sich auch, mit der Rückendeckung der bereits vollzogenen Kritik, den möglicherweise positiven, konstituierenden Aspekten von Autorität, etwa dem so fundamentalen Prozess der Autorisierung, zuzuwenden, der in gutem nachbarschaftlichen Einvernehmen mit dem deutlich modischeren Begriff des "Empowerments" stehen könnte. Es bedeutet auch, sich der Frage nach dem Geschlecht zuzuwenden. Wie das oben erwähnte Stichwort des autoritären Patriarchen bereits andeutet, ist Autorität zumindest im klassischen Sinne kaum von der Geschlechterordnung zu trennen. Autorität ist traditionell männlich konnotiert, und sie ist es bis heute geblieben. Fragt man beliebige Personen nach Autoritäten, so nennen die allermeisten als Beispiel männliche Führungsfiguren. Während es leicht scheint, männliche Bilder von Autorität aufzurufen, ist es gar nicht so einfach, Frauen auszumachen, denen Autorität zugeschrieben wird. Dass dies so ist, darf mit Fug und Recht erstaunen, gerade wenn man sich die tiefgreifenden Veränderungen der Geschlechterordnungen in den westlichen Gesellschaften in den letzten 50 Jahren anschaut: Weder die grundlegende rechtliche und wirtschaftliche Emanzipation der Frauen und ihre Eroberung der Öffentlichkeit und des Arbeitsmarktes inklusive Führungsrollen in Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Kultur noch die allmähliche Veränderung von Männlichkeitsidealen und insbesondere der Vaterrolle in der Familie scheinen daran etwas geändert zu haben. Dieses erstaunliche Missverhältnis von einer immer egalitärer werdenden gesellschaftlichen Praxis und nach wie vor überwiegend männlichen Bildern von Autorität war uns Anlass und Motivation, uns mit dem offensichtlich innigen und komplexen Zusammenhang von Autoritätsbeziehungen und Geschlechterverhältnissen auseinanderzusetzen. Überraschend war für uns, wie wenig in der Philosophie, aus der wir kommen, und in den an sie angrenzenden Bereichen die Frage nach der Autorität in den letzten Jahrzehnten verhandelt wurde, obwohl sie zweifellos ein sozialphilosophisch und politisch ebenso aktuelles wie brisantes Konzept war und bleibt. Autorität war als Thema zwar hier und da präsent, etwa in der Organisationssoziologie, in Managementratgebern und als strittiges Sujet der Pädagogik, aber in der Theoriebildung der letzten Jahrzehnte zumindest dem Begriff nach marginal. In allerjüngster Zeit erst lassen sich erste zaghafte Ansätze einer theoretischen Neubestimmung von Autorität identifizieren. Die großen und einflussreichen Texte zur theoretischen Bestimmung der Autorität entstanden Mitte des 20. Jahrhunderts unter dem Eindruck der totalitären Diktaturen: Hannah Arendts grundlegender Aufsatz über Autorität etwa oder die bereits erwähnten Studien zur autoritären Persönlichkeit der Frankfurter Schule. Auch die Diskussion um Autorität und Demokratie in den 1950er Jahren reagierte auf die Erfahrungen mit dem Nationalsozialismus. Aufgegriffen wurden diese Forschungen in den folgenden Jahrzehnten nur vereinzelt. Die große gesellschaftliche und politische Debatte über Autorität findet im 20. Jahrhundert zweifelsohne 1968 und in den folgenden 1970er Jahren statt; hier geht es um Kritik an einer autoritären Vätergeneration, an autoritären Organisationsformen und Strukturen (insbesondere akademischen), um psychologisch-pädagogische Prägungen und die antiautoritäre Erziehung. Die Tatsache, dass der Begriff "Autorität" bis in die heutige Zeit vor allem im Modus der Kritik in Verwendung ist und nur selten als möglicher positiver Anknüpfungspunkt in Betracht gezogen wird, ist sicherlich in großem Umfang den kulturprägenden 68ern und ihrer expliziten Autoritätskritik zu verdanken. Ebenso aber auch der zweiten Frauenbewegung ab den 1970er Jahren. Denn die gesamte neue Frauenbewegung lässt sich als eine Kritik an überkommenen Autoritätsverhältnissen, an Autorität verstanden als männliche Autorität, deuten, auch wenn die feministische Bewegung ihre Kritik an den patriarchalen Verhältnissen selten explizit unter dem Begriff der "Autorität" diskutierte. Dies gilt auch für die feministische Philosophie und allgemein die sich gesellschaftskritisch verstehende Theoriebildung: auch hier war (und ist) oft das Phänomen der Autorität gemeint, wird aber nicht oder kaum explizit benannt. Eine bemerkenswerte Ausnahme bildet der Kreis italienischer feministischer Philosophinnen um Luisa Muraro ("Diotima", Mailänder Frauenbuchladen), die schon in den 1980er Jahren nicht nur Autorität zum zentralen Thema erhoben, sondern auch neu und positiv weiblich zu besetzen suchten. Allerdings fiel ihr Ansatz damals außerhalb Italiens kaum auf fruchtbaren Boden (und es freut uns, dass in diesem Band etliche unserer Autorinnen die Anregungen dieser Denkerinnen des "Affidamento", der weiblichen Autorität, differenziert aufnehmen). Die erneute theoretische Beschäftigung mit Autorität, die wir anregen, kann durchaus auf einen reichen philosophischen und theoretischen Traditionsbestand zurückgreifen, der - aufgrund des geringen Fokus auf das Thema - in den letzten Jahrzehnten aus dem Blick geraten ist. Die in dieser Zeit wenig wahrgenommenen historischen Debatten über Autorität und auctoritas von der gri...