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Altersutopien

Medizinische und gesellschaftliche Zukunftshoffnungen der Lebensphase Alter

Erschienen am 04.10.2018, 1. Auflage 2018
38,00 €
(inkl. MwSt.)

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Bibliografische Daten
ISBN/EAN: 9783593508290
Sprache: Deutsch
Umfang: 219 S.
Format (T/L/B): 1.3 x 21.4 x 14 cm
Einband: kartoniertes Buch

Beschreibung

Träume von einem langen Leben und ewiger Jugend sind so alt wie die Menschheitsgeschichte. Neue Entwicklungen in Medizin und Biologie lassen diese Hoffnungen mittlerweile als greifbar erscheinen. Eine neue Lebensphase ist entstanden, die allerdings oft mit negativen, tief verwurzelten Stereotypen behaftet ist. Solche Vorurteile verhindern, dass die Potenziale Älterer zu ihrer vollen Entfaltung kommen. Doch wie könnte ein ideales Alter aussehen? Wie können wissenschaftliche Zukunftsvisionen des Alters ausgestaltet werden? Widersprechen sich dabei die Sichtweisen von Medizin und Sozialwissenschaft? Beiträge aus unterschiedlichen Disziplinen zeichnen in diesem Buch ein facettenreiches Bild einer möglichen und idealen Zukunft des Alters.

Autorenportrait

Hans-Jörg Ehni, Medizinethiker und Philosoph, ist stellvertretender Direktor des Instituts für Ethik und Geschichte der Medizin der Universität Tübingen.

Leseprobe

Altersutopien - Medizinische und gesellschaftliche Zukunftsvisionen des Alter(n)s HansJörg Ehni Die Utopie als positive Zukunftsvision schien bis vor kurzem kaum mehr Anhänger zu finden. Der Glaube an einen wissenschaftlich-technischen Fortschritt, der Hand in Hand mit Emanzipation und einer besseren Gesellschaft geht, war angesichts totalitärer Systeme und Umweltzerstörung an einem Tiefpunkt angelangt. Apokalyptische Dystopien, die das Genre der Science Fiction in Literatur und Film konstant hervorbringt, wecken eher Ängste vor dem, was die technologische und soziale Zukunft bringen mag. Das Verhältnis zwischen Utopie und Zukunftsängsten ist jedoch zwiespältig. Gerade Ängste, die die Gegenwart auslöst, können auch bewirken, dass man sich erneut optimistischeren Utopien zuwendet. Anlässe, von einer besseren Zukunft zu träumen, gibt es jedenfalls genug. Solche Träume bewirken trotz negativer Erfahrungen und Ängste - oder vielleicht doch auch gerade wegen ihnen - regelmäßig ein neu erwachtes Interesse an einer optimistischen Utopie der menschlichen Zukunft. Zwei vor kurzem erschienene Bände amerikanischer Autoren beschäftigen sich vor dem Hintergrund einer tristen Gegenwart mit den utopischen Lebensgemeinschaften in den USA wie den Shakern, Owen-Anhängern oder Fourieristen. Sie träumten auf ihre je eigene Weise von einem Zusammenleben ohne Privateigentum, sexuelle Zwänge und gesellschaftliche Ungleichheit. Auch wenn sie nach und nach gescheitert und verschwunden sind - so die religiösen Shaker aufgrund ihrer erfolgreich praktizierten Enthaltsamkeit - bleibt der Reiz anders zu leben offensichtlich bestehen. Auch die Hoffnung auf ein besseres Leben durch Wissenschaft und Technik dürfte trotz der Ängste, die ihre Eingriffstiefe in die Natur und das menschliche Leben wecken, nie ganz erloschen sein. Menschheitsträume einer ewigen Jugend, etwa projiziert auf antike, ansonsten allzumenschliche Götter, verwandeln sich in medizinische Utopien. Ernst Bloch hat deren Kern klarsichtig darin bestimmt, dass in den Utopien der Medizin die Gesundheit nicht nur wiederhergestellt, sondern verbessert werden soll. Heilung bedeute in letzter Konsequenz, wie er im Prinzip Hoffnung schreibt, "den Leib umzubauen". Die medizinischen Zukunftsvisionen lassen sich mittels drei verschiedener utopischer Ziele unterscheiden: die Beeinflussung des Geschlechts der Nachkommen (die Bloch ablehnt), die künstliche Zuchtwahl oder Eugenik und die Abschaffung des Alterns. Der Fluchtpunkt dieser Utopien ist letztlich die Abschaffung des Todes. Das Altern wertet Bloch dabei als Gattungsübel. Der "organische Wunschtraum" sei ein Leib, "auf dem nur Lust, nicht Schmerz serviert wird und dessen Alter nicht Hinfälligkeit, als Schicksal ist" [Hervorhebungen im Original]. Solche Gedanken hat der israelische Historiker Yuval Noah Harari in seinem Beststeller Homo Deus aufgegriffen, der sich halb an eine Universalgeschichte, halb an eine Prognose der Menschheitszukunft wagt. Auch hier zeigt sich das neu erwachte Interesse an Utopien. Harari glaubt, dass der Mensch im 21. Jahrhundert mit Hilfe neuer Technologien nach Glück, Unsterblichkeit und Göttlichkeit streben werde. Dieses Bestreben sei letztlich ein konsequentes Fortschreiben der Ideale des Humanismus. Gleichzeitig bestehe jedoch die Gefahr, dass der Humanismus sich selbst abschaffe, indem die neuen wissenschaftlichtechnischen Entwicklungen und Erkenntnisse den zentralen Wert des menschlichen Individuums untergraben würden. Ähnlich hält Ernst Bloch es für unwahrscheinlich, dass der Drang des Menschen, das Gegebene zu überschreiten und neu zu bilden, am eigenen Leib inne halte. Bloch sieht dabei ebenso den Zusammenhang mit gesellschaftlichen Strukturen: "Vom Leib allein her wird so kaum eines seiner Übel beseitigt." Optimistischer als Harari verweist er jedoch auf die sozialen Utopien, die die medizinischen notwendigerweise ergänzen müssen. Denn der Traum der Unsterblichkeit wecke gemischte Gefühle und sogar Grauen. Jedes "organische Besserseinwollen" hänge in der Luft, wenn das soziale nicht gekannt und berücksichtigt werde. Altersutopien müssen daher gleichzeitig medizinische und gesellschaftliche Zukunftsvisionen des Alter(n)s miteinander vereinen, um das "Grauen" vor der Unsterblichkeit, das sowohl Bloch wie Harari befällt, zu bannen oder zu überwinden. Die neue Dynamik der medizinischen Altersutopie stammt dabei zum Teil aus dem Silicon Valley, wo sich Milliardäre wie Peter Thiel und Konzerne wie Alphabet-Google mit der Biotech-Firma Calico dem Kampf gegen die (eigene) Sterblichkeit verschrieben haben. Unbestreitbar zeigt sich also ein neu erwachtes Interesse an Utopien, in dessen Mittelpunkt unter anderem die Abschaffung des Alters steht. Der Versuch, diese Utopie umzusetzen, ist näher gerückt als jemals zuvor in der Geschichte. Denn medizinische Studien, die einzelne Mittel testen, mit denen das Altern verlangsamt werden soll, haben bereits begonnen. Aber auch eine alternative Zukunftsvision der Emanzipation des Alters und älterer Menschen von Strukturen und Einstellungen, die sie diskriminieren, nimmt in gerontologischen Konzeptionen des gelingenden Alterns konkrete Formen an. Zwischen medizinischer und gesellschaftlicher Zukunftsvision besteht dabei eine fundamentale Spannung, die schwer aufzulösen ist. Daher lohnt es sich, gemeinsam mit den Autorinnen und Autoren dieses Bands, einen Blick auf diese unterschiedlichen Utopien zu werfen. Zuvor soll ein kurzer Überblick der Ideengeschichte der (Alters-)Utopie und der aktuellen Diskussion vor dem Hintergrund des demographischen Wandels in das Thema einführen. Utopien erkunden Bereiche des Möglichen. Sie variieren Formen des Zusammenlebens und entwerfen alternative gesellschaftliche und politische Strukturen. Sie versuchen Familie und Sexualität, Herrschaft und Eigentum sowie religiöse Toleranz neu zu erfinden. Der Begriff "Utopie" ist schriftlich zum ersten Mal als Wortneuschöpfung von Thomas Morus dokumentiert, der 1516 sein berühmtes Werk mit dem Titel "De optimo rei publicae statu deque nova insula Utopia" veröffentlichte. Etymologisch lässt sich "Utopie" aus dem Griechischen herleiten und setzt sich zusammen aus "topos" ("Ort") und der Vorsilbe "ou-", die verneinend ist. "Utopie" bedeutet also nach gängiger Interpretation "Kein-Ort", "Nirgendwo". Schon vor Morus wurden Utopien geschrieben, beispielsweise Platons "Politeia", in der er den perfekten Staat beschreibt. In Reaktion auf Morus' "Utopia" gelangte das Genre zu einer neuen Blüte. Ebenfalls berühmt geworden ist Campanellas kollektivistischer "Sonnenstaat", den eine Priesterkaste regiert. Familie und Privateigentum sind bereits im Sonnenstaat abgeschafft (wie zuvor in Platons Politeia für die Kaste der "Wächter"), was spätere reale utopische Lebensgemeinschaften dann auch versucht haben, wie oben bereits angemerkt. Wie ebenfalls Ernst Bloch hervorgehoben hat, besitzt die medizinische Utopie der Abschaffung des gebrechlichen Alters eine lange Vorgeschichte, die sehr weit in die Menschheitsgeschichte zurückreicht. Was wenig erstaunlich ist. Denn kulturübergreifend gilt ein langes und gesundes Leben als erstrebenswert und wertvoll. Der amerikanische Historiker Gerald J. Gruman hat 1966 einen Überblick des Streits zwischen Befürworter/-innen und Gegner/-innen von Lebensverlängerung und Verjüngung von den mythischen Anfängen bis ins 18. Jahrhundert vorgelegt. Er bezeichnet die Befürworter/-innen einer Verjüngung und verlängerten menschlichen Lebensspanne als "prolongevitists" ("Prolongevitisten" - wie der Ausdruck sich im Deutschen wiedergeben lässt). Für Gruman ist der Prolongevitismus ein notwendiger Bestandteil des "meliorism" ("Meliorismus"). Diesen definiert er als Überzeugung, dass der Mensch, indem er die Natur einschließlich der eigenen beherrscht und verändert, seine Lebensbedingungen und die Qualität des menschlichen Lebens deutlich verbessern kann - also im Grunde die Themen der klassischen und modernen wisse...

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