Beschreibung
Schätzungen von UNICEF zufolge sind derzeit mehr als 300 000 Kindersoldaten weltweit in Kriege und bewaffnete Konflikte involviert. Unter Drogen gesetzt werden sie Zeugen schlimmster Verbrechen und Folter und selbst zum Töten gezwungen. Ishmael Beah war einer von ihnen.
Autorenportrait
Ishmael Beah, geboren 1980 in Sierra Leone, war zwölf, als der Bürgerkrieg in sein Leben einbrach. Er verlor seine Eltern und seinen Bruder im Krieg. Nach drei Jahren als Kindersoldat in der Nationalarmee gelangte er mithilfe von UNICEF in ein Rehabilitationscamp. Der Weg zurück in die Normalität wird lang und schmerzhaft. Heute lebt Ishmael Beah in New York. Er arbeitet für Human Rights Watch und engagiert sich weltweit für vom Krieg betroffene Kinder.
Leseprobe
New York, 1998 Meine Freunde auf der Highschool haben inzwischen den Verdacht geschöpft, dass ich ihnen immer noch nicht alles über mein Leben erzählt habe. "Wieso bist du weg aus Sierra Leone?" "Weil da Krieg ist." "Hast du echte Kämpfe gesehen?" "Klar, das hat jeder bei uns." "Du meinst, du hast gesehen, wie Leute mit Gewehren rum- gerannt sind und sich gegenseitig erschossen haben?" "Ja?..." "Cool." Ich lächle müde. "Das musst du uns irgendwann mal erzählen." "Ja, irgendwann mal." Über den Krieg erzählte man sich allerhand Geschichten, die klangen, als fände er in einem anderen, weit entfernten Land statt. Erst als Flüchtlinge durch unsere Stadt zogen, begriffen wir allmählich, dass sich das alles in unserem eigenen Land abspielte. Familien, die Hunderte von Kilometern zurückgelegt hatten, berichteten, wie ihre Angehörigen umgebracht und ihre Häuser niedergebrannt worden waren. Manche hatten Mitleid und boten ihnen eine Unterkunft an, aber die meisten Flüchtlinge lehnten ab, denn sie sagten, der Krieg würde irgendwann auch unsere Stadt erreichen. Die Kinder dieser Familien sahen uns nicht in die Augen und schreckten hoch, wenn Holz gehackt wurde oder wenn Steine aus den Schleudern, mit denen wir anderen Kinder Vögel jagten, auf die Blechdächer knallten. Die Erwachsenen, die aus den Kriegsgebieten gekommen waren, wirkten bei den Gesprächen mit den Stadtältesten gedankenverloren. Abgesehen von ihrer Erschöpfung und Unterernährung war ganz offensichtlich, dass sie etwas gesehen hatten, das ihnen keine Ruhe mehr ließ, etwas, von dem sie wussten, dass wir es ihnen nicht glauben würden, wenn sie es uns erzählten. Manchmal dachte ich, die Geschichten der Durchreisenden seien übertrieben. Das Einzige, was ich über Kriege wusste, hatte ich in Büchern gelesen oder in Filmen wie Rambo gesehen, und dann war natürlich der Krieg im Nachbarland Liberia, von dem ich durch die Nachrichten auf BBC erfahren hatte. Was den Flüchtlingen aber ihr Lebensglück geraubt hatte, überstieg die Vorstellungskraft eines Zehnjährigen. Als ich das erste Mal mit dem Krieg in Berührung kam, war ich zwölf Jahre alt. Das war im Januar 1993. Ich war mit Junior, meinem großen Bruder, und unserem Freund Talloi, beide ein Jahr älter als ich, unterwegs nach Mattru Jong, wo wir an einem Talentwettbewerb teilnehmen wollten. Mohamed, mein bester Freund, konnte nicht mitkommen, weil er an jenem Tag mit seinem Vater die strohgedeckte Küche renovieren sollte. Als ich acht Jahre alt war, hatten wir zu viert eine Rap- und Dance-Gruppe gegründet. Rap hatten wir bei einem unserer Ausflüge nach Mobimbi kennen gelernt, einem Viertel, in dem die Ausländer wohnten, die für dieselbe amerikanische Firma arbeiteten wie mein Vater. Wir gingen oft nach Mobimbi, um dort im Pool zu schwimmen und fernzu-sehen auf dem riesigen Farbfernseher und die Weißen zu beobachten, die sich im Erholungsbereich der Gäste tummelten. Eines Abends wurde im Fernsehen ein Musikvideo gezeigt, in dem eine Gruppe junger Schwarzer rasend schnell sprach. Wir vier waren völlig gebannt und versuchten zu verstehen, was sie sagten. Am Ende des Videos erschien am unteren Bildrand ein Schriftzug. Dort stand: "Sugarhill Gang, 'Rapper's Delight'." Junior schrieb es schnell auf einen Zettel. Danach gingen wir jedes zweite Wochenende dorthin und beschäftigten uns näher mit dieser Art von Musik im Fernsehen. Wir wussten damals nicht, wie sie hieß, aber ich war beeindruckt, dass die Schwarzen richtig schnell englisch sprachen, und das obendrein noch im Takt. Später, als Junior auf die weiterführende Schule ging, freundete er sich mit ein paar Jungs an, die ihm mehr über ausländische Musik und das Tanzen beibrachten. In den Ferien kam er mit Kassetten an und zeigte mir und meinen Freunden, wie man zu der Musik tanzte, die, wie wir erst später erfuhren, HipHop genannt wurde. Ich liebte das Tanzen, und besonders viel Spaß machte es mir, die Texte au ...
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'Jemanden zu erschießen war so einfach wie Wasser trinken.'