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Auf dem schwarzen Berg

Roman

Erschienen am 18.03.2002
Auch erhältlich als:
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Bibliografische Daten
ISBN/EAN: 9783446201286
Sprache: Deutsch
Umfang: 328 S.
Format (T/L/B): 3 x 21 x 13.7 cm
Einband: gebundenes Buch

Beschreibung

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts wachsen die Zwillinge Benjamin und Lewis Jones in einer menschenleeren Gegend von Wales auf. Der Hof ist eine Art Garten Eden, den zu verlassen Benjamin und Lewis unfähig sind. Dem Roman zugrunde liegt die Idee, dass ein paradiesischer Zustand existieren kann und muss.

Autorenportrait

Homepage von Bruce Chatwin

Leseprobe

Die früheste Erinnerung der Zwillinge - eine gemeinsame, für beide gleichermaßen starke Erinnerung - war der Tag, an dem sie von der Wespe gestochen wurden. Sie hockten auf hohen Kinderstühlen am Teetisch. Es mußte zur Teezeit gewesen sein, denn die Sonne strömte von Westen ins Zimmer, prallte vom Tischtuch ab und blendete sie. Das Jahr mußte bereits weit vorangeschritten sein, vielleicht war es Oktober, wenn die Wespen schläfrig werden. Draußen vor dem Fenster schwebte eine Elster am Himmel, und rote Vogelbeerdolden schlugen im Wind hin und her. Drinnen glitzerten die gebutterten Brotscheiben in der Farbe von Primeln. Mary löffelte Eigelb in Lewis&39; Mund, und Benjamin wedelte in einem Anfall von Eifersucht mit den Händen, um die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, als seine linke Hand auf die Wespe traf und gestochen wurde. Mary suchte im Arzneischränkchen nach Watte und Ammoniak, betupfte die Hand, und als sie anschwoll und scharlachrot wurde, sagte sie besänftigend: "Sei tapfer, kleiner Mann! Sei tapfer!" Aber Benjamin weinte nicht. Er schürzte nur die Lippen und blickte mit seinen traurigen grauen Augen seinen Bruder an. Denn nicht er, sondern Lewis wimmerte vor Schmerz und strich über seine linke Hand, als wäre sie ein verwundeter Vogel. Er schluchzte noch, als sie zu Bett gebracht wurden. Erst als sie einander in den Armen hielten, schlummerten die Zwillinge ein - und von da an brachten sie Eier mit Wespen in Verbindung und mißtrauten allem Gelben. Es war das erstemal, daß Lewis seine Macht demonstrierte, seinen Bruder von Schmerz zu befreien und ihn auf sich zu nehmen. Er war der stärkere Zwilling und der erstgeborene. Um zu zeigen, daß er der Erstgeborene war, hatte Dr. Bulmer ein Kreuz in sein Handgelenk geritzt, und schon in der Wiege war er der Stärkere. Er hatte keine Angst vor Dunkelheit oder vor Fremden. Er liebte es, mit den Schäferhunden herumzutollen. Eines Tages, als niemand in der Nähe war, zwängte er sich durch die Kuhstalltür, und Mary fand ihn ein paar Stunden später, wie er dem Bullen etwas vorplapperte. Benjamin dagegen war ein schrecklicher Feigling, der am Daumen lutschte, schrie, wenn er von seinem Bruder getrennt war, und ständig Alpträume hatte, in denen er in eine Häckselmaschine geriet oder von Zugpferden zertrampelt wurde. Doch wann immer er sich wirklich verletzte, wenn er in Brennesseln fiel oder sein Schienbein aufgeschlagen hatte, dann war es Lewis, der statt seiner weinte. Sie schliefen in einem Rollbett, in einem Zimmer mit niedrigem Gebälk oben an der Treppe, in dem sie nach einer anderen frühen Erinnerung eines Morgens aufwachten und feststellten, daß die Decke einen ungewöhnlichen Grauton hatte. Sie spähten nach draußen und sahen den Schnee auf den Lärchen und die Schneeflocken, die in Spiralen vom Himmel herabwirbelten. Als Mary in ihr Zimmer kam, um sie anzuziehen, lagen sie wie Knäuel zusammengerollt am Fußende des Bettes. "Seid nicht albern", sagte sie. "Das ist doch nur Schnee." "Nein, Mama", kamen zwei gedämpfte Stimmen unter der Bettdecke hervor. "Gott spuckt."

Von den sonntäglichen Fahrten nach Lurkenhope abgesehen, war ihr erster Ausflug in die Außenwelt ein Besuch der Gartenschau von 1903, bei dem das Pony vor einem toten Igel scheute, der auf dem Weg lag, und ihre Mutter den ersten Preis für grüne Bohnen gewann. Noch nie hatten sie so viele Menschen gesehen, und sie waren verwirrt über die Rufe, das Lachen, die flattern-den Zeltplanen und das klirrende Pferdegeschirr und die Fremden, die sie in der Ausstellung auf der Schulter reiten ließen. Sie trugen Matrosenanzüge, und mit ihren ernsten grauen Augen und der schwarzen Ponyfrisur hatten sie sehr schnell einen Kreis von Bewunderern angezogen. Sogar Colonel Bickerton kam zu ihnen. "Ho! Ho! Meine hübschen kleinen Matrosen!" sagte er und kraulte sie sanft unter dem Kinn. Später nahm er sie auf eine Spritztour in seinem Phaeton mit, un ... Leseprobe

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