Beschreibung
Kalendergeschichten, die von Liebe und Tod, Kirche und Glauben, Philosophie und Literatur handeln, von allen ersten und letzten Dingen, die jeder auf seine Weise beantworten und meistern muss. Czeslaw Milosz, der große Schriftsteller und scharfsinnige Diagnostiker beleuchtet in diesen kurzen Geschichten schlaglichtartig jeweils einen Aspekt seines lebenslangen Nachdenkens. Ein Stück polnischer Weltliteratur.
Autorenportrait
Czeslaw Milosz, 1911 in Vilnius/Litauen geboren, starb 2004 in Krakau. Bei Hanser erschienen die Bücher Das Zeugnis der Poesie (Edition Akzente, 1984), Die Straßen von Wilna (1997), Hündchen am Wegesrand (Kalendergeschichten, 2000), Mein ABC (2002) und DAS und andere Gedichte (2004).
Leseprobe
Hündchen am Wegesrand Um mein Land kennenzulernen, hatte ich mich in einem Zweispänner auf den Weg gemacht. Ich hatte einen großen Vorrat an getrocknetem Futter dabei und einen hinten am Wagen angebundenen, klappernden Eimer, der dazu diente, die Pferde zu tränken. Auf dieser Reise lernte ich die verschiedensten Gegenden kennen, manche waren hügelig, andere waldig, wieder andere ähnlich der Pußta. Dort ballte sich der Rauch über den Dächern der Gehöfte zusammen, so daß es aussah, als würden diese brennen. Das kam daher, weil diese Gebäude keinen Rauchfang hatten. Ich fuhr auch durch Felder und Seenlandschaften. Wie herrlich war es doch, sich auf diese Art vorwärts zu bewegen, die Zügel schleifen zu lassen, zu warten, bis hinter den Bäumen langsam ein Dorf oder ein Park erschien und darin das Weiß eines Gutshofs. Und immer sprang uns sofort ein kleiner bellender Hund entgegen, eifrig und pflichtbewußt. Das war am Anfang des Jahrhunderts, an dessen Ende wir uns nun befinden. Ich erinnere mich nicht nur an die Menschen, die dort lebten, sondern auch an die Generationen von Hunden, die ihnen bei ihren täglichen Geschäften Gesellschaft leisteten, und einmal, ich weiß nicht woher, sicher war es in einem Traum, den ich gegen Morgen hatte, kam mir diese drollige und fast zärtliche Bezeichnung für sie in den Sinn: "Hündchen am Wegesrand". Ohne Kontrolle Er konnte seine Gedanken nicht kontrollieren. Sie irrten herum, wo sie wollten, und wenn er ihnen nachging, wurde ihm übel. Denn es waren keine guten Gedanken, sie brachten es an den Tag, daß er in seinem tiefsten Innern grausam war. Das mußte er sich eingestehen. Er dachte, daß die Welt ein einziges Jammertal sei und daß die Menschen nichts anderes verdienten als ihren eigenen Untergang. Gleichzeitig hatte er den Verdacht, daß die Grausamkeit seiner Phantasie und sein Schaffensimpuls irgendwie zueinander gehörten. Vorübergehend und nur zum Schein Morgens aufstehen und zur Arbeit gehen, mit den Menschen durch Gefühle der Liebe, der Freundschaft oder der Feindschaft verbunden sein - und sich die ganze Zeit darüber im klaren sein, daß all dies nur vorübergehend und zum Schein ist. Unerschütterlich und greifbar war in ihm eigentlich nur die Hoffnung, diese war so stark, daß ihn das Leben selbst bereits ungeduldig machte. Jetzt, gleich, in einer Minute, sollte er es zu fassen kriegen - aber was eigentlich? Die Zauberformel, in der sich die ganze Wahrheit über unsere Existenz verbirgt. Er putzte sich die Zähne, und sie stand bereits hinter ihm, er stand unter der Dusche und hätte sie fast ausgesprochen, wäre er nicht zum Bus geeilt, hätte sie sich vielleicht gezeigt - und so ging es den ganzen Tag. Wenn er mitten in der Nacht aufwachte, fühlte er manchmal, daß er gerade dabei war, durch einen dünnen Schleier hindurch zu ihr vorzudringen, doch dann, durch die Anstrengung ermüdet, schlief er wieder ein. Eigentlich bedrückte ihn diese fixe Idee. Er sah ein, daß er ganz er selbst und ganz im Hier und Jetzt sein sollte, achtsam gegenüber den Menschen, die ihm nahestanden, und bestrebt, deren Erwartungen, die sie an ihn richteten, zu erfüllen. Aufzudecken, daß auch diese Menschen nur vorübergehend und zum Schein existierten, wäre für sie verletzend gewesen. Somit konnte er dem Gedanken nie Ausdruck verleihen, daß er für das Leben mit ihnen wahrhaftig keine Zeit hatte. Kindisch Der Dichter als Kind unter lauter Erwachsenen. Er weiß um diese seine Beschaffenheit, doch er muß ohne Unterlaß so tun, als ob er bei den Handlungen und Gepflogenheiten der Erwachsenen mitspiele. Das Schlimme dabei: Sich dessen bewußt sein, daß man im Innersten ein Kind, also ein naiv-emotionales Geschöpf ist, ständig bedroht vom derben Gelächter der Erwachsenen. Das Land der Träume Das Land der Träume hat seine eigene Geschichte. Sooft ich dort bin, erkenne ich dieselben Richtungspfeile wieder, dieselbe Anordnung der Pfade in den Bergen und dieselben Weg Leseprobe