Beschreibung
Januar 1998: In einem verschneiten Steinbruch bei Ulm wird die Leiche eines Arbeitslosen gefunden. Was hat den Mann aus Görlitz hierher geführt und wer hat ihn mit Psychopharmaka voll gepumpt? Doch das ist nicht das einzige Problem, mit dem Kommissar Berndorf und seine Kollegin Tamar Wegenast sich herumschlagen müssen. Zugleich werden sie vom spektakulären Ausbruch eines Lebenslänglichen in Atem gehalten: Der Rasiermesser-Mörder nimmt blutige Rache an den Juristen, die ihn vor Jahren verurteilt haben. In einer atemberaubenden Handlung zwischen der Schwäbischen Alb, Görlitz und Tel Aviv wird eine Spur sichtbar, die zurückführt in die düsteren Kapitel medizinischer Forschung in der NS-Zeit. Als Berndorf dabei den Schonraum eines schwäbischen Klüngels aus Polit- und Wirtschaftsprominenz verletzt, wird er von einer Stuttgarter Sonderkommission suspendiert. Doch Berndorf, zwischen Montaigne-Lektüre, nächtlichen Ferngesprächen mit seiner Liebsten und maßvollem Whiskygenuss unbeirrbar an jener Aufklärung interessiert, die in der Nachkriegszeit verhindert wurde, lässt sich nicht einschüchtern und ermittelt heimlich weiter. Mit von der Partie ist dabei seine Assistentin Tamar, die ihrem (kritisch verehrten) Chef gegen den Druck des Apparats unerschrocken beisteht, obwohl sie mit der Tochter des Mörders in eine Serie verwirrender Begegnungen gerät. Souverän führt Ulrich Ritzel in seinem hoch gelobten Krimidebüt drei Handlungsfäden zu einem engen Geflecht von Krimi, Thriller und Gegenwartsstudie zusammen - in dem auch die Liebe nicht zu kurz kommt - und lässt den Leser bis zum fulminanten Showdown am Fuße des Ulmer Münsters nur selten Zeit zum Atemholen.
Autorenportrait
Ulrich Ritzel, geboren 1940, aufgewachsen auf der Schwäbischen Alb, arbeitete mehr als drei Jahrzehnte als Journalist und wurde 1980 mit dem Wächterpreis der deutschen Tagespresse ausgezeichnet. Mit dem Roman "Der Schatten des Schwans" debütierte er 1999 als freier Autor. Aus der Reihe seiner Romane um den Kommissar Berndorf erhielten "Schwemmholz" und "Beifang" den Deutschen Krimi-Preis, "Der Hund des Propheten" den Preis der Burgdorfer Krimi-Tage. Ulrich Ritzel lebt mit seiner Ehefrau Susanne und seinen beiden Hunden seit 2008 in der Schweiz.
Leseprobe
27. April 1945 Die beiden Jagdmaschinen zogen steil vor der H?gelkette an der anderen Talseite hoch und tauchten ?ber der Kuppe ab. Das Jaulen der Motoren erstarb, Stille breitete sich aus. Die Welt war taub geworden. Sogar die V?gel waren verstummt, als warteten sie auf den n?sten Angriff. Es war sp?r Vormittag, doch die Sonne stand noch tief und warf lange und k?hle Schatten. Im Tal blieb es ruhig, und langsam kehrten die Ger?che des Waldes und des Talbachs zur?ck. Am Ufer h?e man die ersten Schl?sselblumen finden k?nnen. Ein Mann l?ste sich aus dem Schutz einer Tannendichtung und trat vorsichtig auf die Waldstra? heraus. Er war hoch gewachsen und hatte ein schmales, scharf geschnittenes Gesicht mit den unger?hrten blauen Augen friesischer Vorfahren. Der Opel stand wenige Meter weiter, halb verdeckt unter den herabh?enden Zweigen einer Linde. Das Laub war frisch und jung, wie eine Font? von zartem Gr?n. Es w?rde ein sch?nes Fr?hjahr werden. Wenn du nicht aufpasst, dachte Hendriksen, wirst du nicht viel davon haben! Nachdenklich starrte er auf den Wagen, wie zuf?ig folgten seine Augen der Reihe von L?chern, die in gleichm?gen Abst?en in das Blech der Motorhaube und in die Windschutzscheibe gestanzt waren. Dann wunderte er sich, wie lange er gebraucht hatte, um zu begreifen, was sie bedeuteten. Langsam ging er zur halb ge?ffneten Fahrert?r. Koslowski hing ?ber dem Steuerrad. Hendriksen hob ihm den Kopf an, dann sah er die feuchten Flecken, die sich auf der Uniformjacke des Fahrers ausbreiteten. Automatisch griff er nach dem Handgelenk des Mannes und f?hlte nach dem Puls: nichts. Aus dem Wagen tropfte Fl?ssigkeit. Kraftstoff? K?hlwasser? Gleichg?ltig, dachte Hendriksen. Den Wagen musste er aufgeben. Einen anderen w?rde er nicht mehr bekommen, nirgendwo. Morgen sollte er am Grenz?bergang in Stein am Rhein sein. Wie viel Kilometer waren es bis dahin? F?nfzig? Oder sechzig? Leclerc sei bei Villingen durchgebrochen, hatte ihm gestern Abend in dem ?berf?llten Wirtshaus ein Stabsoffizier gesagt, ein Major. Es war in einem kleinen Dorf hinter Saulgau, die Stromversorgung war unterbrochen, die Wirtin hatte ihnen eine Kerze und einen Krug mit saurem Most an den Tisch gebracht; sie war eine noch junge Frau, schwarz gekleidet, ihr Gesicht von Kummer gezeichnet. Aber ihre Augen waren ?berall, forschend und hungrig. Am Tisch neben Hendriksen wurde franz?sisch gesprochen, die M?er trugen Anz?ge mit spitz auslaufenden Revers und waren ?ber eine Stra?nkarte gebeugt. Es waren Versprengte des Sigmaringer Vichy-Hofstaates, der sich nun auf den Landstra?n Oberschwabens aufzul?sen begann. Drei Frauen sa?n dabei, mit breitkrempigen H?ten und in M?el geh?llt, die l?st fadenscheinig waren und doch immer noch nach Paris 1942 aussahen. Eine der Frauen warf ihm einen pr?fenden Blick zu und wandte die Augen sofort wieder ab. Sie hat begriffen, dachte er: Gute Gesellschaft f?r jemanden, der die n?sten Monate ?berleben will, sieht anders aus. Im gro?n Nebensaal dr?ten sich Fl?chtlingsfrauen mit ihren Kindern, die so ersch?pft waren, dass sie trotz ihres Hungers eines nach dem anderen eingeschlafen waren. Und ?berall, in der Atemluft und in den Kleidern, hing der Geruch nach Schwei?und Elend. Hendriksen fragte sich, ob die Menschen um ihn herum Angst empfanden. Oder ob sie einfach zu m?de waren, um an die n?sten Tage zu denken. An Leclercs marokkanische Soldaten und das, was sie mit den Frauen und Kindern tun w?rden. Sp?r am Abend hatte eine Kolonne ausgemergelter M?er mit halb toten Pferden vor dem Gasthof Halt gemacht. Zwei ihrer Offiziere, hagere M?er mit dem Andreaskreuz auf der Uniform, fragten in gebrochenem Deutsch nach dem Weg, offenbar wollten sie nach Ravensburg. Der Major gab Auskunft, dann kehrte er mit einer entschuldigenden Geste an den Tisch zur?ck. ?Die Reste von Wlassows Leuten?, sagte er achselzuckend. Man werde sie entwaffnen m?ssen, sie seien nicht mehr zuverl?ig. ?Falls wir noch jemand haben, der ihnen die Gewehre abnimmt.? D Leseprobe