Beschreibung
Unser Wissen ist im Umbruch, unser Bildungssystem in der Krise, der Ruf nach einem Kanon wird immer lauter. Dieses Handbuch bietet umfassende Neuorientierung hinsichtlich der Kernbestände unserer Kultur. Im ersten Teil Wissen präsentiert Dietrich Schwanitz alles, was man wissen muß, um das Bürgerrecht im Land der Bildung zu erwerben. Im zweiten Teil Können geleitet Schwanitz den Leser unter anderem durch das Haus der Sprache, die Welt des Buches und der Schrift und bietet inspirierende Länderkunde. Eine Zeittafel, informative Kürzestfassungen von Büchern, die die Welt verändert haben, Tipps zum Weiterlesen und ein ausführliches Namenregister erhöhen den Gebrauchswert dieses Kompendiums.
Autorenportrait
Dietrich Schwanitz, geboren 1940, stammt aus dem Ruhrgebiet und wuchs bei mennonitischen Bergbauern in der Schweiz auf. Er studierte Anglistik, Geschichte und Philosophie in Münster, London, Philadelphia und Freiburg. Von 1978 bis 1997 lehrte er als Professor für Englische Literatur an der Universität Hamburg. Mit seinen Romanen "Der Campus" (1995) und "Der Zirkel" (1998) erreichte der Chefkritiker deutscher Hochschulpolitik ein Millionenpublikum. Sein Wissenshandbuch "Bildung" (1999) entwickelte sich zum Top- und Longseller. Dietrich Schwanitz verstarb im Dezember 2004.
Leseprobe
Wissen Einleitung über den Zustand der Schulen und des Bildungssystems, die man ohne weiteres überspringen kann Als Robinson Crusoe sich nach dem Schiffbruch an Land gerettet und sich einigermaßen erholt hatte, besann er sich auf die Fähigkeiten eines guten Bürgers: Er verschaffte sich einen Überblick über das Wrack; er machte Inventur; er bilanzierte seine Möglichkeiten; und er analysierte seine Situation. Wir sind, was die Bildung betrifft, in der Lage Robinsons. Wir haben Schiffbruch erlitten. Das ist schlimm, aber es ist keine Katastrophe, solange man seine Moral behält, nicht in Panik gerät, lernfähig ist und zäh genug, alles wieder neu aufzubauen. Machen wir also Inventur. Sichten wir das Wissen und trennen wir das Wesentliche vom Unwesentlichen. Überprüfen wir unsere Maßstäbe. Korrigieren wir unsere Fehler. Und gewinnen wir dabei unsere Urteilsfähigkeit zurück. Wie ist die Lage, wenn wir sie nicht beschönigen? Die drei monströsen Schwestern: die Gorgonen Bildung ist zu einem Schattenreich geworden. In ihm sind die Vorstellungen davon verdampft, was man eigentlich lernen soll. Eine ernsthafte, fachlich solide Überlegung über Bildungsziele findet nirgendwo statt. Statt dessen herrschen die beiden Schwestern - die große Verunsicherung und die große Unübersichtlichkeit. Immer neue Modelle werden durchgespielt. Die Schule ist zum Prinzip des Tauschhandels zurückgekehrt. Deutsch kann durch Sport ausgeglichen werden und Mathematik durch Religion. Punkte in Leistungskursen zählen doppelt soviel wie die in gewöhnlichen Kursen. Das hat die Schule zu einem Markt gemacht, auf dem Zensuren gehandelt werden und die Schüler mit den Lehrern um Prozentpunkte feilschen. Daß alles mit allem kombinierbar, alles austauschbar und alles kompensierbar ist, hat die dritte der Gorgonenschwestern inthronisiert: die große Beliebigkeit. Ihre Herrschaft hat die Idee vom unaustauschbaren, mit der Sache verbundenen Bildungswert eines Faches verdunsten lassen. Das Grundprinzip jeder Ordnung von Wissensbeständen wurde fallengelassen: die Unterscheidung von Wesentlichem und Austauschbarem, von Zentralem und Randständigem, Pflicht und Kür, Kernfächern und Wahlfächern. Mythos und Kosmologie lehren uns: Wenn die Entwicklung einen Tiefpunkt erreicht hat, ist es Zeit für eine Umkehr; die längste Nacht ist zugleich auch die Sonnenwende; nach dem Abstieg in die Hölle erfolgt die Auferstehung. Deshalb ist es an der Zeit, die Herrschaft der drei Schwestern zu beenden - der großen Verunsicherung, der großen Unübersichtlichkeit und der großen Beliebigkeit. Zu den mythologischen Gorgonen gehört die Medusa, deren Blick tötet; hält man ihr den Spiegel vor, tötet sie sich selbst. Fangen wir damit an. Schulen Die Schulen leiden in Deutschland an einem quälenden Widerspruch: Die Schüler sollen überall das gleiche lernen, damit die Abschlüsse - vor allem das Abitur - wenigstens ungefähr das gleiche Niveau haben. Aber jedes Bundesland macht seine eigene Schulpolitik, und wie die aussieht, hängt von der Partei ab, von der es regiert wird. Weil aber in einer Leistungsgesellschaft die Karrieren der Menschen vom Bildungssystem abhängen, ist das Schulwesen zwischen den Parteien besonders umkämpft. Deshalb gibt es die beiden Lager der SPD-Länder und der CDU-Länder. Ein Herzensanliegen der SPD ist die Gesamtschule. Sie wurde auf Kosten der Gymnasien besonders gefördert. Man wollte mit der Gesamtschule die Klassengegensätze abbauen und die Chancen für alle erhöhen, durch Bildung gesellschaftlich aufsteigen und ein reiches und erfülltes Leben führen zu können. Außerdem hoffte man, daß die Gesamtschule das fördern würde, was man 'kommunikative Kompetenz' nannte und womit man wechselseitiges Verständnis füreinander meinte. Die CDU dagegen setzte weiterhin auf das dreigliedrige Schulsystem mit Gymnasien, Realschulen und Hauptschulen. Inzwischen kann man sagen, daß von den Ergebnissen her die CDU diesen Streit gewonnen hat: Die Gesamtschule hat nicht gehalten, wa