Beschreibung
Dorothy Gallaghers Ehemann starb 2010. Jahrelang litt der Publizist und Verleger Ben Sonnenberg an Multipler Sklerose, war zuletzt beinahe vollständig gelähmt, doch sein wunderbarer, spielerischer Geist blieb ungetrübt. In Und was ich dir noch erzählen wollte bewegt sich Gallagher frei assoziierend zwischen Gegenwart und Vergangenheit, beschwört die gemeinsame Zeit mit ihrem Mann, seine letzten Tage, das Leben nach seinem Tod - allein, und in Gedanken doch immer bei ihm, in einer Welt, die heimgesucht wird von Erinnerungen, Erinnerungen, die ihr zugleich oft Trost bedeuten. Offen und unprätentiös spricht sie über die kleinen Dinge ihres Alltags in New York, den Umzug in eine neue Wohnung, wie sie sich dort einrichtet, auf der Dachterrasse Tomaten zieht, ihre zwei Hunde und die Katze Bones, wie sehr ihr die eleganten Anzüge ihres Mannes fehlen, aber auch seine zärtlichen, sehr britischen Liebesbekundungen. Gallaghers Mutter, am Ende besiegt von der Demenz, ist auch da, zusammen mit vielen Freunden, einer alten Schreibmaschine und einem Foto, nie aufgenommen, aber umso bedeutsamer für Gallaghers Beziehung zu ihrem verstorbenen Mann. Was Dorothy Gallagher hier erzählt, mag gewöhnlich erscheinen, doch wie sie es tut, lakonisch und tiefgründig, ist einmalig. Dieses schmale, zutiefst berührende Buch entfaltet die Beziehungsgeschichte eines Paares, Logik und Mysterium ihres Zusammenseins, erzählt von unheilbarem Verlust und unendlicher Liebe und destilliert so die Essenz des Lebens.
Autorenportrait
LINA SCHEYNIUS, 1981 in Vänersborg, Schweden, geboren, hat das Coverbild fu¨r Und was ich dir noch erzählen wollte fotografiert. Sie macht atemberaubende Aufnahmen von Akten und Stillleben sowie Selbstporträts. Ihre Fotografien fangen Facetten von Intimität und Schönheit ein, die gewöhnlich verborgen bleiben, wie herausgerissene Seiten aus einem Tagebuch. Manchmal leuchtend, dann wieder verschwommen - immer intensiv und zum Nachdenken anregend -, lesen sich ihre Bilder wie Poesie. Scheynius' Ästhetik vermittelt unumstößliche Wahrheiten und offenbart das Zarte, das gesehen zu werden verdient. Ihre Bilder wurden weltweit in zahlreichen Einzel- und Gruppenausstellungen gezeigt. Fu¨r das Jahr 2012 übernahm Scheynius die wöchentliche Bildkolumne im ZEITmagazin von Jürgen Teller. Lina Scheynius lebt und arbeitet in London, und ihre Lieblingsblume ist die Holzanemone.
Leseprobe
»In meiner Kindheit gab es bei uns zu Hause keine Schreibmaschine. Wer etwas aufschreiben musste, nahm einen Stift zur Hand. Meist war das meine Mutter. Fast jeden Nachmittag saß sie am Küchentisch und schrieb dem ein oder anderen ihrer vielen Freunde und Verwandten einen Brief mit Neuigkeiten von der Familie. Nachdem ich zu Hause ausgezogen war, schrieb sie mir. Ihre Handschrift ist mir so vertraut wie ihr Gesicht;ich hätte sie im Traum erkannt, so wie wenn ich träume, dass ich Post von ihr bekomme. Den Brief lese ich offenbar nie;der Anblick meines Namens auf dem Umschlag in ihrer Handschrift reicht. Noch bevor Mama und ich aus dem Staunen herausgekommen waren, verdiente ich meinen Lebensunterhalt, indem ich Sachen schrieb, die mit meinem eigenen Namen unterzeichnet waren. Natürlich hätte ich mich Autorin nennen können. Aber wir waren Leserinnen, meine Mutter und ich, und die Latte hing hoch. Tolstoi, Dickens, Dostojewski, George Eliot - das waren Autoren. Was blieb da für mich übrig? Was macht die Kleine jetzt?, fragten die Freundinnen meiner Mutter. Ach, sagte meine Mutter, sie macht was bei irgendeinem Magazin. Was machst du beruflich?, fragtest du mich, als wir uns kennenlernten. Ach, ich recherchiere gerade für ein Buch über einen Anarchisten. Das heißt, du bist Rechercheurin? Na ja, nein. Genau genommen recherchiere ich für mein eigenes Buch. Du warst ziemlich streng. Du schreibst ein Buch? Na dann sag doch, dass du schreibst. Nur wenige Monate später packte ich die Royal, meine Kleidung und ein paar Möbelstücke zusammen und zog nach Uptown, um für die nächsten dreißig Jahre mit dir zusammenzuleben. Lange genug, um die Royal auszumustern und mit dem Computer umgehen zu lernen. Lange genug, um deine Töchter groß werden und eigene Söhne und Töchter bekommen zu sehen. Vor so vielen Jahren sagtest du, ich schreibe. Ich beschloss, dir zu glauben. Seitdem warst du mein erster Leser. Ich habe immer gewartet, um deine Meinung zu hören. Ich warte noch immer.«