Beschreibung
Im ersten Band der Reihe werden Schlüsseltexte der international wichtigsten Vertreter der Globalgeschichte erstmals in deutscher Sprache publiziert: Christopher A. Bayly, Charles Bright, Frederick Cooper, Arif Dirlik, Michael Geyer, Christopher L. Hill, Rebecca E. Karl, Erez Manela, Jürgen Osterhammel, Kenneth Pomeranz und Andrew Zimmermann.
Autorenportrait
Sebastian Conrad ist Professor für Neuere Geschichte an der Freien Universität Berlin. Andreas Eckert ist Professor für Außereuropäische/Afrikanische Geschichte an der Humboldt-Universität zu Berlin. Ulrike Freitag ist Direktorin des Zentrums Moderner Orient, Berlin, und Professorin für Islamwissenschaft an der Freien Universität.
Leseprobe
Die gegenwärtige Konjunktur globalgeschichtlicher Perspektiven stellt nicht den ersten Versuch dar, die Welt historisch zu erfassen. Ganz im Gegenteil: In gewisser Weise ist die Weltgeschichtsschreibung so alt wie die Geschichtsschreibung selbst. Herodot (ca. 484-424 v. Chr.) und Polybios (ca. 200-120 v. Chr.), Sima Qian (ca. 145-90 v. Chr.) oder Ibn Chaldun (1332-1406) haben jeweils die Geschichte ihrer Ökumene geschrieben und die jeweilige "Welt" aus dem Blickwinkel ihrer Kultur in den Blick genommen. Dabei spielten Verflechtungen häufig schon eine wichtige Rolle. Wenn etwa Abu'l-Hassan Ali al-Mas'udi (ca. 895-956) in einem Werk mit dem blumigen Titel Die Goldwiesen und Edelsteinstuben die ihm bekannte Welt beschrieb, berichtete er nicht nur von den islamischen Gesellschaften, sondern auch von den schon durch vorislamische Handelsverbindungen verbundenen Regionen des Indischen Ozeans sowie seiner Einzugsgebiete von Galizien bis Indien. Seit dem 18. Jahrhundert und im Zuge der europäischen Expansion verändert sich die geopolitische Matrix weltgeschichtlicher Ansätze. Die europäischen Universalgeschichten der Aufklärungsepoche, die sich als Geschichten der Menschheit verstanden, traten mit dem Anspruch auf, von sämtlichen Gegenden der Welt zu berichten und eine Art Tableau gesellschaftlicher Institutionen und Entwicklungen zu entwerfen. Die unterschiedlichen "Zivilisationen" standen dabei in der Regel mehr oder weniger unverbunden nebeneinander; aber die Hierarchisierung dieser Zivilisationen war meist noch nicht in dem Maße festgelegt, wie sie das Entwicklungsdenken des 19. Jahrhunderts dann durchsetzte. Als Folge der Institutionalisierung der Geschichtswissenschaft im Kontext der Nationsbildung ist etwa seit den 1830er Jahren die Geschichte Asiens oder Afrikas allmählich aus dem disziplinären Fokus verschwunden. Während die Universalgeschichte der Aufklärungszeit beispielsweise ein großes Interesse an der chinesischen Gesellschaft besessen hatte, hielt sich die historistische Geschichtsschreibung des 19. Jahrhunderts für Ostasien nicht mehr für zuständig: "Im 18. Jahrhundert", wie Jürgen Osterhammel formuliert, "verglich sich Europa mit Asien; im 19. hielt es sich für unvergleichlich." Die Kompetenzen für nichtwestliche Gesellschaften wurden in die Disziplinen der Orientalistik, der entstehenden Regionalwissenschaften oder - im Falle der "Völker ohne Geschichte" - der Ethnologie verlagert. Als Folge der Durchsetzung evolutionistischer Weltbilder seit etwa 1800, die von einer stufenförmig fortschreitenden Weltgeschichte ausgingen, wurde die Geschichte der außereuropäischen Gesellschaften zu einer "Vorgeschichte" reduziert - etwa in Hegels berüchtigter Metapher vom "Kinderland" Afrika. Umgekehrt ist zur selben Zeit die europäische Geschichte zu einer weltweit relevanten Geschichte geworden und hat die historische Erfahrung - und das historische Bewusstsein - in vielen Regionen maßgeblich geprägt, nicht zuletzt durch den institutionellen Export der europäischen Geschichtswissenschaft, beispielsweise nach Ostasien. Die Revolution der Infrastruktur und Kommunikationsmittel, aber auch die geopolitische Neuordnung im Zeichen imperialen und kolonialen Ausgreifens ließen eine integrale Perspektive auf die Welt unausweichlich erscheinen. Dementsprechend entstanden auch außerhalb Europas weltgeschichtliche Entwürfe; zu den bekanntesten Autoren zählten Wei Yuan (1844) oder später Liang Qichao (1902) in China, Fukuzawa Yukichi (1869) in Japan oder Jawaharlal Nehru (1934) in Indien. Ihre Werke, die stellvertretend für eine breite Palette weltgeschichtlicher Arbeiten stehen, zeugen von der allmählichen Durchsetzung eines - je spezifischen - globalen Bewusstseins. Häufig reproduzierten sie das europäische Selbstbild und legitimierten es von außen. Liangs Weltgeschichte aus dem Jahr 1902, beispielsweise, beschrieb im Kern die Geschichte der europäischen Expansion, und dies sogar, wie Prasenjit Duara urteilt, "from the European perspective of conquest and the bringing of enlightenment to the world". Zugleich beinhaltete die Übernahme des weltgeschichtlichen Genres aber stets auch Modifikationen und strategische Aneignungen unter unterschiedlichen kulturellen und geopolitischen Bedingungen - auch bei Liang, der kritisierte, dass "die Geschichte der arischen Rasse [...] sehr oft fälschlicherweise als Weltgeschichte betitelt werde". Da in Japan oder China die nationale Geschichte eng an der Weltgeschichte gemessen wurde, setzte in Ostasien die Institutionalisierung der Weltgeschichte viel früher ein als im Westen. In der europäischen Historiographie hingegen stellte sie seit dem 19. Jahrhundert eine Randexistenz dar. Das hatte mit der Meistererzählung vom europäischen Sonderweg zu tun, aber auch mit der engen Anbindung an die Nation und der methodischen Orientierung an philologischer Quellenkritik. Gleichwohl gab es auch hier Konjunkturen eines Weltbewusstseins. So stieg am Ende des 19. Jahrhunderts, nicht zuletzt als Reaktion auf die zunehmende weltpolitische und ökonomische Verflechtung der Zeit, die Nachfrage nach globalen Perspektiven auf die Geschichte. In Deutschland war Karl Lamprecht der wichtigste Vertreter einer erneuerten Kultur- und Universalgeschichte, die er mit unternehmerischem Impetus ausbaute und in Leipzig institutionalisierte. Lamprecht zielte auf eine positivistische Wissenschaft der Geschichte und war auf der Suche nach welthistorischen Entwicklungsgesetzen, die er durch großräumige Vergleichsstudien generieren wollte. Zwar blieb Lamprecht ein akademischer Außenseiter, aber die große Popularität umfangreicher Überblicke wie der von Hans Ferdinand Helmholt herausgegebenen neunbändigen "Weltgeschichte" (1899-1907) zeugt von einer breiten Nachfrage nach weltgeschichtlichen Synthesen in den Dekaden vor dem Weltkrieg - eine Nachfrage, die danach deutlich nachließ.
Inhalt
Globalgeschichte, Globalisierung, multiple Modernen: Zur Geschichtsschreibung der modernen WeltSebastian Conrad und Andreas EckertAnsätze, Theorien, PerspektivenGlobalgeschichte und die Einheit der Welt im 20. JahrhundertCharles Bright und Michael Geyer"Archaische" und "moderne" Globalisierung in Eurasien und Afrika, ca. 1750-1850C. A. BaylyAuf der Suche nach einem 19. JahrhundertJürgen OsterhammelWas nützt der Begriff der Globalisierung? Aus der Perspektive eines Afrika-HistorikersFrederick CooperGlobalisierung heute und gestern: Widersprüchliche Implikationen eines ParadigmasArif DirlikGlobalgeschichte in der PraxisPolitische Ökonomie und Ökologie am Vorabend der Industrialisierung: Europa und China im globalen KontextKenneth PomeranzNationalgeschichten und Weltsysteme: Die Beispiele Japan, Frankreich und Vereinigte StaatenChristopher L. HillAsien erschaffen: China in der Welt zu Beginn des 20. JahrhundertsRebecca E. KarlDie Morgenröte einer neuen Ära: Der "Wilsonsche Augenblick" und die Transformation der kolonialen Ordnung der Welt, 1917-1920Erez ManelaEin deutsches Alabama in Afrika: Die Tuskegee-Expedition nach Togo und die transnationalen Ursprünge westafrikanischer BaumwollpflanzerAndrew ZimmermanAutorinnen und AutorenNachweise
Schlagzeile
GlobalgeschichteHerausgegeben von Sebastian Conrad, Andreas Eckert und Ulrike Freitag
Informationen zu E-Books
Individuelle Erläuterung zu E-Books